heute in Bremen: Polemik als Notwehr
Buchvorstellung Tilman Tarach präsentiert die Neuauflage von "Der ewige Sündenbock"
Jurist und Autor des Buches „Der ewige Sündenbock“.
taz: Herr Tarach, ist man in Bremen besonders antisemitisch? Immerhin initiierte das Friedensforum hier eine Boykott-Aktion.
Tilman Tarach: Nein. Der Reflex, Juden dürften im Westjordanland nicht leben, ist ja nahezu allgegenwärtig. Denn darum geht es den genannten Akteuren: Während 20 Prozent der israelischen Staatsbürger Araber sind, möchte man einem zukünftigen Palästinenserstaat eine kleine jüdische Minderheit nicht zumuten.
Hier ging es um die Siedlungen.
Über die israelische Siedlungspolitik kann man durchaus streiten, aber die Aufgabe der Siedlungen und ein bedingungsloser Rückzug der Israelis würde zum jetzigen Zeitpunkt die Westbank in eine Hochburg der Islamisten verwandeln, was nicht nur für Israel gefährlich wäre, sondern auch das Leben der dort lebenden Palästinenser zur Hölle machen würde. Den Streitern für die „palästinensische Sache“ ist auch Letzteres gleichgültig. Ihnen ist die Existenz Israels ein Dorn im Auge.
Nun ist das Friedensforum ja ein eher unbedeutender Akteur. Wird da aus einer Mücke ein Elefant gemacht?
Möglicherweise. Besorgniserregender ist jedenfalls der Antizionismus aus der Mitte der Gesellschaft, der solche grotesken Aktionen erst möglich macht.
Ist die Entscheidung der EU, Waren aus den besetzten Gebieten zu kennzeichnen, ebenfalls antisemitisch?
Ja, denn andernfalls müssten Produkte aus zahlreichen anderen Regionen ebenfalls gekennzeichnet werden.
Welche meinen Sie?
Etwa die aus dem türkischen Teil Zyperns oder aus der von Marokko annektierten Westsahara. Eine derart leidenschaftliche Beschäftigung, wie sie antiisraelische Gruppen an den Tag legen, findet sich in Bezug auf diese Regionen nicht, dabei gibt es für Israel durchaus gute Gründe für die Präsenz in Teilen der Westbank.
Sie wollen „das gängige Israelbild als antisemitische Projektion entlarven“. Wie?
Ich zeige, dass dieses Bild grundfalsch ist. Dass sich der Antisemitismus im Antizionismus fortsetzt, lässt sich aus der Geschichte, der Ideologie und dem regelmäßig verwendeten zweierlei Maß ableiten.
Wie weit kommt man in diesem thematischen Minenfeld eigentlich noch mit Polemik?
Polemik sollte nur eine Zutat sein, als solche stellt sie indes eine Art Notwehr gegen die antiisraelischen Zumutungen dar.Täte nicht gerade der Auseinandersetzung mit der Politik Israels ein unaufgeregterer Ton gut?Die Stimme der Vernunft darf sich von Parolen wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ auf deutschen Straßen nicht einschüchtern lassen. Gleichwohl sollte der gängige Antizionismus historisch und ideologisch eingeordnet und bewertet werden, auch wenn dies mitunter zu Aufregung führt.
Interview: kms
19.30 Uhr, Kulturzentrum Kukoon, Buntentorsteinweg 29
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