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herr tietz macht einen weiten einwurfFRITZ TIETZ über den Kampf von Gut und Böse

Nie mehr vom Turm springen

Ringelpiez mit Anfassen in den Bundesligastadien, schwarze Schnauzen an den reklamebannernackten Ferraris beim Monzarennen der Formel 1. Zwei Beispiele nur dafür, dass nicht bloß in der Welt, wie allenthalben gemeldet, sondern auch im Sport jetzt einiges sehr anders ist als vor jenem unseligen 11. September, der doch gerade für uns Sportsfreunde bisher ausschließlich ein fröhlicher Freudentermin war, weil der Lichtgestalt Franz Beckenbauers Geburtstag.

Fortan aber wird dieser Tag nur noch der sein, an dem der Anpfiff erfolgte zum Kampf des Guten (gut zu erkennen an den rot-weiß gestreiften Trikots und den besternten blauen Hosen) gegen das Böse, das sich allerdings bislang noch bedeckt in seiner Kabine resp. Höhle aufhält.

Und obwohl es von diesem Großkampf bis jetzt kaum mehr zu berichten gibt, als dass das Gute immerhin schon mental, um nicht zu sagen: monumental gut drauf ist, das Böse hingegen noch nicht mal seine Mannschaftsaufstellung bekannt gegeben hat, steht alles im Schatten dieser mit großer Betroffenheit erwarteten Begegnung.

Wie aber soll man da noch unbefangen Sport treiben, wie noch unbeschwert drüber berichten? Wie sollen beispielsweise jetzt noch Tore fallen können, wo man nur einen Buchstaben auszutauschen braucht, schon sind es plötzlich Tote, die da fallen. Wie auch kann man jetzt noch fröhlich einen Auswärtssieg bejubeln und sich daran erfreut, dass da Punkte aus des Gegners Stadion entführt werden, nachdem doch am 11. 9. Flugzeugpassagiere entführt wurden. Und wer möchte noch von einem Team behaupten, dass es seinen Kontrahenten „turmhoch“ überlegen sei, nachdem wir alle mitansehen mussten, was mit den beiden New Yorker Türmen geschah.

Und überhaupt: das Turmspringen. Mehr als jede andere hat gerade diese Sportart nach dem 11. September ihre Unschuld verloren. Selbst beim Stabhochsprung wird man über eine gründliche Reform nachdenken müssen. Zu sehr erinnert die Art, wie sich die Stabhochspringer auf die Matte hinabplumpsen lassen, an den taumelnden Sturz der vielen Unglücklichen, die man aus dem brennenden Tower springen sehen musste.

Auch wir Sportberichterstatter werden uns nach dem „Paradigma-Wechsel der Werte in einer veränderten Welt“ (Bild) anpassen müssen. „Da brennt die Luft!“ Wie schnell entfährt doch einem Fußball-Kommentator diese bislang durch nichts getrübte Reporterphrase angesichts einer (womöglich auch noch „brenzligen“) Strafraumsituation; seit dem 11. 9. muss er sich dafür etwas Unverfänglicheres einfallen lassen. Auch wenn in einem spannenden Tennismatch „ordentlich Dampf“ ist oder eine rassige Wasserballbegegnung „reichlich Feuer“ hat, wird ein Sportreporter dies künftig anders zum Ausdruck bringen, so er sein Publikum nicht in Trübsinn und Bedrückung stürzen will.

Andererseits: Wer sagt denn eigentlich, dass jetzt alles schlechter werden muss? Können wir die Zäsur, die uns der Terror aufnötigte, nicht auch als eine gute Gelegenheit begreifen, um den Sport von ein paar Dingen zu befreien, die uns bisher nicht so behagten? Zum Beispiel vom albernen Golfsport, der eigentlich aus Pietätsgründen schon nach dem Golfkrieg umbenannt oder am besten gleich hätte abgeschafft werden müssen.

Und auch das sollten wir Sportsfreunde vorausschauend bedenken: Wenn erst der Wettkampf Gut gegen Böse losbricht, werden neben vielen jungen Wettkampfteilnehmern, die dann sterben müssen, etliche verwundet werden und körperlich verstümmelt heimkehren. So aber können sie möglicherweise für einen Zuwachs im Versehrtenensport ihrer Heimatländer sorgen. Und wer weiß: Am Ende wird manch einer von denen, die ein, zwei Körperteile verloren, schon bei der nächsten Behinderten-Olympiade aufgrund herausragender sportlicher Leistungen auf das Siegerpodest steigen bzw. gehoben werden. Lebbe geht weiter, join the next Paralympics!

FotohinweisFritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

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