herr tietz macht einen weiten einwurf: FRITZ TIETZ über das Verletzungsglück
Bis die Knochen bersten
„Verletzungspech“ heißt es im Reportersprech immer, wenn ein Sportler von anhaltender Versehrtheit betroffen ist. Von „Verletzungsglück“ ist dagegen nie die Rede. Ich jedenfalls habe noch nie davon gehört.
Verletzungsglück würde ich aber nennen, was dem Berliner Fußballer Marco Rehmer widerfuhr, als ihm letzten Samstag der Kölner Spieler Springer aus vollem Lauf die beidbeinig vorangestreckten Treter in die Unterschenkel wuchtete. Ein Wunder, dass sich Rehmer dabei „nur“ einen Außenband- und Kapselriss zuzog. Nach Ermessen aller mir vertrauten physikalischen Gesetzmäßigkeiten hätten unter Springers Stiefel eigentlich sämtliche Unterschenkelgebeine Rehmers zerkrachen, zersplittern, zerbersten und als feiner Knochenstaub in alle Richtungen auseinander stieben müssen. Auch nicht schön mit anzusehen war übrigens, wie beim selben Spiel Hertha-Kollege Hartmann der Oberkiefer brach; dies allerdings nicht aufgrund eines Fouls, sondern nach einem unglücklichen Zusammenstoß (gibt’s eigentlich auch glückliche Zusammenstöße?) mit einem weiteren Spieler des 1. bzw. 1033. FC Köln, wie der torflaue Verein neuerdings ja heißt. Auch Hartmanns Crash war so heftig, dass ich es selbst bei abgeschaltetem Fernsehton – nur so ist „ran“ zu ertragen – tüchtig krachen und knirschen hörte.
Wie beschaulich nimmt sich dagegen mein bisheriges Verletzungspech aus. Was sicher damit zu tun hat, dass ich meinen Bewegungsdrang früher höchstens auf Freizeitsportniveau abreagiert habe und sich die sportlichen Aktivitäten mittlerweile eher im Bereich Ruhigekugelschieben eingependelt haben; Bettkämpfe selbstverständlich ausgenommen, aber da ist die Gefahr körperlicher Blessuren sowieso eher gering, zumindest in der von mir bevorzugten Kampfklasse. Die paar ernsteren Verletzungen der letzten Zeit habe ich mir auch weniger aufgrund zu großer Dynamik, sondern mehr durch fortgesetzte Bewegungslosigkeit zugezogen: infolge ständigen Sitzens am Schreibtisch, vor der Kiste oder im Auto. Das sagt jedenfalls mein Orthopäde bzw. Sportarzt, zu dem man ja interessanterweise auch als Schreibtischgeschädigter geschickt wird. Da schmerzte plötzlich der Rücken, knarzte der Hals oder wollte es einem derart jäh den Steiß zerreißen, dass ich fast aufgeschrien hätte wie ein gestiefelter Nationalverteidiger. Überhaupt steigt die Verletzungsanfälligkeit mit dem Alter rapide. Immer häufiger tun mir sogar Körperteile weh, von deren Existenz ich bislang gar nichts wusste; ich erspare Ihnen die Einzelheiten.
An echten Sportverletzungen kann ich, außer den beim Fußball obligatorischen Schrunden, Blutergüssen oder Stauchungen, lediglich einen Muskelfaserriss vorweisen. Meine bizarrste Verletzung erlitt ich als A-jugendlicher Handballspieler der TG Schildesche bei einem Meisterschaftsspiel gegen TuS Gadderbaum, als mich ein Gegenspieler gegen die Wand der Sporthalle schubste und sich die Maschen eines Ballfangnetzes derart in meine Haut gruben, dass meine Schulterpartie tagelang mit einem Bluterguss in Netzform verziert war. Der Unterarmbruch von 1969, als der doofe Senftleben aus der Siebten meinte, mich rücklings von einem Treppengeländer runterstoßen zu müssen, muss nicht unbedingt als Sportunfall durchgehen.
Einen zweiten Muskelfaserriss zog ich mir erst neulich beim Umbau unseres Badezimmers zu. Als es galt, die schweren Bodenfliesen hochzutragen, blitzte mir beim Anheben des ersten Fliesenpackens ein schneidender Schmerz ins Oberschenkelgewebe, sodass ich von der Bauleitung (meine Frau) gegen Nachbar Thorsten ausgewechselt werden musste.
Für den gestiefelten Rehmer wurde übrigens Schmidt eingewechselt, für den Kieferbruch Hartmann kam der Spieler Sverrisson. Beiden Verletzungspechvögeln gute Besserung!
Fotohinweis:Fritz Tietz, 43, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.
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