herr hefele kriegt zwei minuten: ALBERT HEFELE über die Penetranz der Schifahrer
Kein Kopf ohne Bretter
Mit was soll man’s vergleichen? Mit einem Koch, der, während er die Spaghetti aus der Küche reicht, lauthals ausruft: „Bosch Küchengeräte sind die besten!“ Mit einem Schriftsteller, der nach vollbrachtem Roman und durchgeführter Lesung immer sagt: „Ohne meine Olympia-Schreibmaschine wäre dieser Roman nicht so gut geworden...“ und jene – die Schreibmaschine – preisend vor dem Publikum in die Höhe stemmt? Mit einem Automechaniker, der ständig, während er Ihnen die Reparatur erklärt, bedeutsam mit dem dafür benutzten Schraubenzieher vor ihrer Nase herumfuchtelt und diesen in höchsten Tönen lobt?
Das sind aber alberne Beispiele, werden Sie sagen und doch: Genau das tun Sportler mit ihren Arbeitsgeräten. Mehr oder weniger offen, mehr oder weniger aufdringlich. Am alleraufdringlichsten die, die zur Zeit Saison haben: die Schifahrer. Aufdringlich und schamlos. Jawohl: schamlos. Natürlich werben auch Schwimmer mit ihren Badehosen, Radlfahrer mit ihren Rädern; es gab sogar schon Sprinter, die sich nicht entblödeten, nach dem Lauf die Schuhe in die Kamera zu halten.
„Das ist der Zug der Zeit“, werden Sie murmeln und irgendwas von „Product Placement“. Trotzdem sind die Schifahrer noch ein Pfund schamloser. Und das schon seit ziemlich langer Zeit. Wann genau diese Mode angefangen hat, ist schwer zu eruieren. In meiner Olympiabibliothek gibt es jedenfalls Bücher aus dem 76er-Jahr, da ist Rosi Mittermaier auf manchen Fotos ohne Schier zu sehen. Im 92er-Buch von Albertville ist das nicht mehr drin. Ein bekannter Fahrer ohne den Schriftzug der von ihm benutzten Marke – unmöglich! Und dabei ist man bei olympischen Spielen immer noch eine Idee zurückhaltender.
Keine Bremse dagegen im Weltcup-Alltag. Manchmal hat man das sichere Gefühl, dass den Sportlern und Sportlerinnen die gefahrene Zeit gar nicht sooo wichtig ist. Kaum unterm Zielband durch, wird in aller Hast abgeschwungen und dann zuerst, ohne lange nach der Anzeigetafel zu schielen, werden die Bretter in die Kamera gestellt bzw. gehalten. Das geht wie geschmiert und wird garantiert extra trainiert. Brief und Siegel. Schon im Zielhang äugt der Fahrer nach dem sich im Zielraum aufhaltenden, mobilen Kameramann. Darum schrägt es auch den einen oder anderen Slalomartisten noch in den letzten Toren: weil er zu früh angefangen hat, nach der Linse zu glotzen. Oder – wer sich noch dran erinnern kann – Sepp Ferstl damals, als er neben der Zeitmessung vorbeigebrettert ist und sich fast guillotiniert hätte! Weil er schon damit beschäftigt war, die Bindung zu lösen! Na gut – das ist eine Vermutung, aber im Kern habe ich wie immer ziemlich Recht. Der moderne Profischifahrer fährt in erster Linie Schi, um sein Arbeitsgerät vorzuführen! Deswegen muss der Schifahrer sein Arbeitsgerät loben, loben und nochmals loben! Kein Interview ohne die ständigen Begleiter.
Tausend Art-Direktoren haben sich den Kopf zerbrochen, wie man das Material am intensivsten herzeigen könnte. Daher: kein Schifahrerkopf ohne die neben dem Schädel wie angewachsen aufragenden Bretter. Man unterscheidet werbestrategisch die schultergestützte Seithalte, die Parallel- oder Zwillingspräsentation (um Gotteswillen nicht den Schriftzug mit den großen Handschuhen verdecken!) und die große Horizontalzeige (Schispringer!).
Eine Sonderform ist das „Fangnetz“. Zwar geht dieser Werbeform ein teilweise schwer zu beobachtender, weil hektischer Bewegungsablauf voraus, dafür ist die anschließende Performance mit Trage, medizinischem Personal in Leuchtkleidung und eventuell sogar Hubschrauber eins a. Geradezu perfekt geeignet, das Material eindringlich zu präsentieren. Voraussetzung: Der im Fangnetz Gelandete ist nicht über die Maßen wehleidig und egozentrisch und denkt zur Unzeit an seine gebrochenen Knochen. Die Schi herzeigen kann man immer, wenn man seine Arbeit ernst nimmt. Das gilt auch für die Damen.
Na ja. Der Job ist hart. Aber die Mühe ist nicht umsonst. Wie meine familieninternen Untersuchungen gezeigt haben, würden 66,3 Prozent aller TV-Konsumenten den Schi eines gestürzten Fahrers ebenso gerne kaufen wie das Material eines Nichtgestürzten. Ich nicht. Ich kann nicht Schi fahren.
Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über fundamentale Dinge des Lebens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen