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hennenverordnungTestfall für die Agrarwende

Der Höckerschwan hat es besser als Renate Künast. Für ihn gilt momentan Schonzeit. Die Bundesverbraucherministerin dagegen findet seit ihrer Amtsübernahme keine Ruhe mehr. Trotzdem: Auch nach hundert Tagen im Amt hat Künast ihre Leitlinien nicht aus den Augen verloren. Das zeigt der Entwurf der Hennenhaltungsverordnung. Das Papier ist der erste wirkliche Schritt zur Agrarwende.

Kommentarvon BERNHARD PÖTTER

Dass die Situation in den Ställen unerträglich ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1999 klargestellt. Künast nutzt nun die Aufmerksamkeit für das Thema Ernährung und die Defensive der Agrarindustrie, um das Ende der Legebatterien drastisch zu beschleunigen. Das ist nicht selbstverständlich: Ihr Amtsvorgänger Funke hatte das Verfahren auf die lange Bank geschoben, obwohl er als Landesminister selbst die Klage gegen diese Regelung formuliert hatte.

Die Hennenverordnung bedeutet aber mehr als nur die vorzeitige Amnestie für Millionen von geschundenen Tieren. Sie steht exemplarisch für die Agrarwende. Gelingen kann das ganze Vorhaben nur, wenn die Verbraucher mitspielen und nicht weiterhin die billigen Importeier kaufen. Die Ministerin braucht für ihre Wende vor allem und immer wieder die Entscheidung der Kunden an der Ladentheke. Zweitens hat sich Künast mit einer mächtigen Lobby angelegt. Gerade in der Hühnermast ist die Industrialisierung und die Konzentrierung von Kapital am weitesten fortgeschritten. Gegen die Legebatterien sind die Massenställe für Rinder wahre Ökohöfe. Nicht umsonst reden Künasts Mitarbeiter vom „Ausstieg“. Ähnlich wie beim Abschied vom Atom muss hier nämlich das Ende einer ganzen Branche organisiert werden – möglichst ohne lange Prozesse und ohne teuren Schadenersatz.

Entscheidend für die Hennenverordnung und die gesamte Agrarwende aber wird die politische Rückendeckung sein. Künast braucht bei ihrem Ausstieg mehr Hilfe und Geschlossenheit, als Trittin sie beim Atomausstieg bekommen hat. Schon einmal, bei der Finanzierung der Schlachtprogramme, hat die Regierung die Ministerin im Regen stehen lassen: Das Geld für die Massenschlachtungen kommt zu Lasten der ökologischen Landwirtschaft aus ihrem Haushalt. Wenn Schröder Künast nun nicht finanziell, juristisch und politisch den Rücken stärkt, wird es nichts werden mit der schönen Idee von einem schnellen Ende der Tierquälerei. In diesem Fall wäre auch die Idee der Agrarwende zum Abschuss freigegeben.

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