harald fricke über Shopping: Stell dir vor, du bist pleite
Der Euro kommt, na und? Das Geld reicht trotzdem nicht. Eine Schrankwand aus Kirsche – mehr ist 2002 nicht drin
Zu Hause am Rechner. Die Homepage, die D-Mark-Beträge fachgerecht in Euros zerlegt, sagt 15.509,40, wenn man für das zu erwartende Jahresgehalt dieser kleinen Zeitung den Umrechnungsfaktor 1,95583 eingibt. Hui, was für eine Freude, welch melancholischer Taumel, den diese Zahl bei mir auslöst! Denn die Summe, sie erinnert sehr an den Einheitslohn der Gründungszeit. Da kommt plötzlich ein bisschen vom alten taz-Geist auf, da will man wieder kollektiv duschen wie damals nach der Schicht, als man, mit Nutella-Brötchen und Nicaragua-Kaffee bewaffnet, am Schreibtisch gegen das Schweinesystem kämpfte. Noch schlägt das Herz des Hausbesetzers in mir, noch ist der Kampfruf von früher nicht verklungen: Gewühl bei Hertie! Ach, schön war die Zeit.
Schön war auch ein Plakat vom SDS, lange vor meiner Zeit. „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“, stand da in Verbindung mit den Gesichtern von Marx, Engels und Lenin. Ein neues Poster, das der Dramatik am ersten Werktag im Jahr 2002 angemessen wäre, müsste den Slogan tragen: „Alle reden vom Euro. Wir nicht“, darunter die Köpfe von Jenny Elvers, Boris Becker und Harald Juhnke. Denn so wie für Marx, Engels und Lenin nur die Revolution zählte, so redet auch Elvers nicht über Geld, sondern meistens von ihrem Leben als Luder; Becker macht sich stets nur Gedanken um Babs; und Juhnke ist zu verwirrt, um an den Euro zu denken, der will bloß raus aus seinem Pflegeheim. Nicht schlecht wäre es natürlich, wenn ich mich da irgendwie einbringen könnte, indem ich, anstatt über das ganze Währungs-Hello/-Goodbye zu räsonieren, ein bisschen von meinen Erfahrungen mit Hydrokosmetik plaudern würde. Weil ich aber leider recht ahnungslos bin, wenn es um aktive Reinigungsmilch geht, und ich auch beim Anti-Aging-Kurs im Wintersemester 1988/89 gefehlt habe, werde ich mich wohl oder übel mit dem neuen Geld beschäftigen müssen.
Tatsächlich macht es Spaß, sich einen Vorausblick auf ein Jahr vorzunehmen, von dem man kaum die basics weiß: Werde ich nach der Umstellung mit dem Geld klarkommen? Schon seit der Silvesternacht stehen zumindest an den Fahrscheinautomaten in Berlin grüppchenweise U-Bahn-Angestellte mit extra neongrün leuchtenden Westen, um verwirrten Fahrgästen in den Währungswechsel zu helfen. Freundlich nehmen sie einem die frisch aus dem Starter-Kit gezupften Euros aus der Hand, stecken sie in den Schlitz, in den früher die Markstücke kamen, und zucken dann mit den Schultern, wenn der Apparat die Münzen wieder ausspuckt, weil er sie nicht erkennen kann.
Damit ich selbst nicht allzu sehr ins Straucheln komme, wenn die neue Zeit mit ihren vielen kleinen Rechnungen beginnt, ziehe ich erst mal die festen Kosten für das Jahr ab. Das hält die sonstigen täglichen Geldgeschäfte hübsch übersichtlich. Für Miete, Heizung, Wasser, Gas und Telefon kommen ordentliche 7.000 Euro zusammen. Busse und Bahnen wollen 675 Euro in diesem Jahr, das haben sie mir per Hauswurf angekündigt, für die Bahncard gehen nach den neuen Tarifen noch einmal 60 Euro drauf. Als Nächstes addiere ich die Beträge für anfallende Geburtstage im Bekanntenkreis, das macht Bücher mal Parfüms und Geschmeide geteilt durch den dazugehörigen Trash aus Grußpostkarten plus Verpackung ungefähr 424 Euro. Weihnachten war zwar gerade erst, findet aber auch in 356 Tagen wieder statt und schlägt mit schätzungsweise 250 Euro zu Buche. Alles in allem sind bereits 8.409 Euro abgebucht, bevor irgendein Geschäft überhaupt geöffnet hat im Jahr 2002.
Wie aber den Rest verjubeln? Was kann man sich für 7.100 Euro und ein paar zerquetschte Cents leisten? Wenn ich den Wirtschaftsinstitutsspezialisten glauben kann, die in den letzten Wochen mancherlei über den vom Euro beflügelten Kaufrausch der Deutschen orakelt haben, dann geht es ziemlich flugs. Hier eine Schrankwand aus Kirschbaumholz, dort ein Fernseher mit Flüssigkristall-Bildschirm, Multifunktionsschnickschnack und integrierter Playstation – schon sind an die 5.000 Euro weg. Außerdem kann man bei 30 gesetzlich vorgeschriebenen Urlaubstagen schwerlich zu Hause bleiben. Irgendwo zwischen Bretagne, Barcelona und der Nordsee gehen sie hin: Goodbye, ihr freizeitintensiven 2.100 Euro.
Schwupp, das war’s. Das Geld, das mich eben noch auf dem Display siebenstellig anlächelte, ist komplett alle. Wenn jetzt der Computer zu zicken anfängt, kann ich ihn nicht einmal mehr reparieren lassen. Aber das geht nicht, ich muss doch arbeiten, sonst verdiene ich ja gar nicht erst das Geld, das ich gerade in meiner Neujahrsfantasie ausgegeben habe. Na prima, so fängt 2002 ja gut an: Stell dir vor, es ist Euro – und du bist pleite!
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