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harald fricke über MärkteDas flexibilisierte Private

Sie telefonieren am Arbeitsplatz? Sie checken Ihre E-Mails im Büro? Sie betrügen die Kleinaktionäre!

Ja, er flog, oft und üppig. Sechsmal haben Cem Özdemir, seine Eltern, Pia Castro und sogar der befreundete Autohändler Ali Haydar B. angeblich den dienstlich erflogenen Bonus des Grünen-Abgeordneten privat genutzt. Tickets im Wert von über 9.000 Euro sollen laut Bild am Sonntag auf dem Rücken der Steuerzahler abgerechnet worden sein. Total illegal, denn bereits im September 1997 hatte der Ältestenrat des Bundestages beschlossen, dass alle Abgeordneten ihre Meilengutschriften für Dienstflüge mit der Lufthansa dem Bundestag zur Verfügung stellen müssen, um Geld zu sparen. Letztes Jahr sind dadurch, das hat BamS recherchiert, 400.000 Mark gespart worden.

Na gut, also wieder mal selber nachrechnen. Die gesparten Mark entsprechen knapp 200.000 Euro. Demnach machen Özdemirs Eskapaden allein eine Schädigung von 5 Prozent im Gesamtvolumen aus, wenn man sie mit der Höhe der Einsparungen vergleicht. 672 Abgeordnete hat der Bundestag, die wenigsten davon sitzen ihre Zeit im Büro ab, zählen Heftklammern und ordnen Akten mit Petitionen aus ihrem Wahlbezirk für den entsprechenden Ausschuss.

Nein, auch zu ihrer Arbeit gehören Flüge, Flüge, Flüge. Sollten sie dabei nur halb so aktiv sein wie der speedige Schwabe Özdemir, dann müssten – Kanzlertrips und Fischer-Visiten nicht mitgezählt – an die sechseinhalb Millionen Bonusmeilen innerhalb eines ähnlichen Zeitraumes zusammengekommen sein.

Das ist eine enorme Summe, neben der die vom Bundestag gesparten 200.000 Euro des vergangenen Jahres wie Peanuts wirken, so dass man sich bestürzt fragen muss – wer alles hat noch beschissen? Bei wem wurde die goldene Senator-Card der Lufthansa zum kostenlosen Türöffner für ein bisschen Ballermann im Fasching oder für ein Euro-Disney-Weekend?

Aber nicht nur die Gratifikationen und kleinen Geschenke, die die Politik erhalten, machen auf Dauer sauer – der Miles & Moralismus selbst stinkt. Weil er überlegen erklärt, dass ein freier Flug auf Staatskosten bloß Ausdruck des freien Falls ist, in dem sich dieser Staat befindet. Das ist die Logik der Trendbarometer, bei der jedes individuelle Fehlverhalten wie an der Börse zum allgemeinen Kursverfall führt – so schlimm ist es um das technokratische Wesen der Deutschland-AG bestellt. Ist das wirklich die Welt, für die die Grünen angetreten sind? Ich fühle eher Zuneigung. Ich stelle mir Özdemir in seiner womöglich mit Hunzinger-Moneten eingerichteten Berliner Wohnung vor, wie er abends frustriert rumsitzt auf dem Sofa, nachdem er den Tag lang für „Aktion Courage – S.O.S Rassismus“ bei rechten Jugendlichen in Neumünster vorstellig wurde oder als voll integrierter Vorzeigetürke zwischen übellaunigen Kohlekumpels in Gelsenkirchen grüne Sachpolitik gemacht hat – und jetzt ist die Flasche leer.

Da wünscht er sich Beistand, da ruft er Mutter Nihal an in Bad Urach und fragt, ob sie und Vater Abdullah nicht mal vorbeikommen wollen. Doch Mutti sagt, das sie sich das nicht leisten können. Und irgendwann ist es ihm dann rausgerutscht: Ach, vergiss das Geld, ich hab’ doch ein Miles & More-Bonuspunkte-Programm bei der Lufthansa, also packt eure Koffer, ihr seid eingeladen – wenn es um die liebe Familie geht, kann eine Reise nicht wirklich unrechtens sein.

Vielleicht hat Özdemir so gedacht. Vielleicht war ihm auch nicht klar, wo die Grenze liegt zwischen privaten Interessen und politischen Aufgaben. Ist das schlimm?

In jedem Büro sitzen täglich einige Millionen Angestellte, die zu Hause Bescheid sagen, wenn es spät wird, weil Überstunden gemacht werden müssen, oder die ihre E-Mails auf Bürokosten checken – das gehört zum flexibilisierten Alltag, wo zwischen Engagement im Job und selbst bestimmtem Leben kaum mehr getrennt wird. Auch das ist verlorenes Geld, für Ford oder E.on, für Deutsche Bank und Deutsche Bahn …, für Kleinaktionäre also, diese Steuerzahler der freien Marktwirtschaft. Mag sein, dass Özdemir mit seinem Verhalten die Grünen in den Ruf gebracht hat, nicht mehr unkorrumpierbar zu sein. Aber er hat auch bewiesen, dass das Private nicht erst in der Verfehlung politisch wird, sondern es längst vorher ist. Als Positivbeispiel hat man ihn quer durch die Republik geschickt – damit er zeigen konnte, wie offen Deutschland Einwanderern gegenüber ist.

Er war für die Grünen ein Dienstreisender in Sachen Integration. In gewisser Weise sind die dabei entstandenen Bonifikationen, an deren unerlaubter Verwendung er nun gescheitert ist, auch Ergebnis ihrer ideologischen Ausrichtung – als einer Partei der gesellschaftlichen Offenheit. Deshalb die vielen Flüge.

Fragen zu Märkte?kolumne@taz.de

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