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grünes jamaikaAbsurdes Provinzdenken

Außenpolitik ist zu wichtig, um von den Grünen ignoriert zu werden

Tobias Schulze

Jahrgang 1988, ist taz-Redakteur für Außen- und Verteidigungspolitik. Für das Amts des Außenministers steht er nicht zur Verfügung.

Die Jamaika-Sondierungen haben den beteiligten Parteien schon alles abverlangt, doch das Schwierigste kommt erst noch: Bevor Union, FDP und Grüne in einigen Wochen ihren Koalitionsvertrag unterzeichnen, müssen sie einen Blöden finden, der freiwillig ins Auswärtige Amt einzieht. Bewerber für den Job des Außenministers haben sich bislang nicht gemeldet. Im Gegenteil, die designierten Koalitionsparteien stellen sich an wie ein Elternabend vor der Wahl des Elternsprechers.

Ihr Argument: Das Außenministerium habe nichts mehr zu entscheiden. Die wichtigsten internationalen Themen habe die Kanzlerin zur Chefsache gemacht, und innerhalb der EU würden die meisten Sachfragen zwischen den zuständigen Fachministern geklärt.

Bei den Grünen geht die Scheu sogar noch über das Auswärtige Amt hinaus. Sie wollen sich aus der internationalen Politik offenbar komplett raushalten. Das Sondierungsteam der Grünen hat ausschließlich Ressorts im Auge, die hauptsächlich nach innen wirken: Das Umweltministerium, das Verkehrs- oder Agrarministerium und dazu noch Familien oder Soziales. Einen entsprechenden Bericht im Spiegel hat die Partei zwar dementiert, falsch ist er deshalb aber noch lange nicht.

Dieser Rückzug auf den eigenen Acker irritiert. Die vergangene Legislaturperiode wurde bestimmt durch außenpolitische Überraschungskrisen: der Ukraine-Konflikt, die Trump-Wahl, der Brexit, die Fluchtkrise und der Streit mit der Türkei. Ausgestanden ist keines dieser Probleme, und wahrscheinlich kommen in den nächsten vier Jahren noch ein paar weitere dazu. „Die neue Bundesregierung wird durch internationale Krisen navigieren müssen, die zunehmend auch das Territorium Deutschlands und der EU betreffen“, schrieb Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Anfang November in der Süddeutschen Zeitung.

Im Wahlkampf haben die Grünen noch mit Rezepten gegen diese Herausforderung geworben. Ihr Konzept für außenpolitische Krisen ist differenziert: Vorrang für zivile Maßnahmen, abgestimmt auf die jeweilige Situation, die Menschenrechte stets im Blick und Bundeswehreinsätze nur dann, wenn das Kleingedruckte stimmt. Wertegeleitete Realpolitik mit Akzent auf dem Adjektiv, könnte man sagen.

Im Auswärtigen Amt gibt es neuerdings ein passendes Instrument für diesen Ansatz. Unter den SPD-Ministern Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel hat das Ministerium einen neuen Fachbereich aufgebaut. „Abteilung S – Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe“ heißt er auf dem Organigramm. Kurz gesagt geht es darum, mit nichtmilitärischen Mitteln in Konflikte einzugreifen, bevor sie eskalieren – sei es mit Mediatoren für die Streitparteien, Hilfslieferungen für die Bevölkerung oder Unterstützung beim Aufbau einer zuverlässigen Verwaltung. Diese Instrumente gab es schon vorher, jetzt werden sie aber erstmals ausgebaut und von einer zentralen Abteilung mit milliardenschwerem Etat verwaltet.

Die neue Struktur ist noch zu frisch, um ihren Erfolg abschließend zu bewerten. Der Ansatz ist aber richtig. Wäre die Abteilung Anfang 2015 bereits in Betrieb gewesen, hätte die Bundesregierung womöglich die Warnsignale erkannt, die aus den unterfinanzierten Flüchtlingslagern rund um Syrien kamen. Die Fluchtbewegungen im Sommer hätte sie durch frühzeitige Maßnahmen vielleicht abmildern können. Dadurch wäre heute vieles einfacher, sogar die Sondierungen für Jamaika. Würden sich die Grünen jetzt das Auswärtige Amt schnappen, könnten sie die neue Struktur ausbauen und verfeinern. Unter Union oder FDP wäre die Zukunft der Abteilung dagegen offen.

Aber es geht nicht nur ums Außenministerium. Tatsächlich beschäftigt sich das halbe Kabinett mit Außenpolitik; neben dem Auswärtigen Amt vor allem das Kanzleramt, das Verteidigungsministerium, das Entwicklungsministerium, das Finanzministerium (über die Euro-Politik) und das Wirtschaftsministerium (über Außenhandelshilfen). Wählten die Grünen zumindest eines dieser Ministerien, könnten sie im jeweiligen Bereich wenigstens die Rolle des außenpolitischen Korrektivs zum Rest spielen. Halten sie sich komplett raus, bekommen wir dagegen vier Jahre lang eine schwarz-gelbe Außenpolitik.

Was das bedeuten würde, zeigt das Beispiel Rüstungsexporte. Seit Jahren klagen die Grünen aus hochmoralischer Positionen heraus gegen Waffenausfuhren nach Ägypten, Saudi-Arabien oder Kuwait an. Für die Exportgenehmigungen ist innerhalb der Bundesregierung der Bundessicherheitsrat zuständig, dem neben dem Kanzleramtschef die Außen-, Verteidigungs-, Finanz-, Innen-, Justiz- und Entwicklungsminister angehören. Auf keinen dieser Posten haben es die Grünen abgesehen. Sie hätten also keinen Anspruch darauf, an den geheimen Sitzungen des Gremiums teilzunehmen, ihre Argumente vorzubringen oder auch nur über Details der Entscheidungen informiert zu werden.

Die Grünen haben jeden Anspruch aufgegeben, in einer Koalition als außenpolitisches Korrektiv Einfluss zu nehmen

Für die Partei hätte das nur einen einzigen Vorteil: Wenn Union und FDP den nächsten Panzerdeal mit Riad durchwinken, können sich die Grünen rausreden. Sie haben den Genehmigungsbescheid ja nicht selbst mitabgenickt. Aber kann das der Anspruch an eine Regierungsbeteiligung sein?

Nur mit einem einzigen Argument lässt sich der Verzicht auf internationale Gestaltungsmöglichkeiten begründen: Die Grünen wollen sich möglichst stark auf die Ökoressorts Umwelt, Verkehr und Landwirtschaft konzentrieren, um in ihrem Kernbereich möglichst viel zu reißen.

Das Hauptargument gegen das Auswärtige Amt müssten sie für diese drei Ressorts aber ebenfalls gelten lassen: Wenn es ernst wird, schaltet sich sowieso die Kanzlerin ein. In den entscheidenden Fragen, wenn es um die nächste Klimaverhandlung geht oder um den nächsten Dieselgipfel, wird sie mitmischen. Man nennt das Richtlinienkompetenz und findet es im Grundgesetz. Das mag zwar ärgerlich sein, aber bevor sie nicht irgendwann einmal die absolute Mehrheit haben, können die Grünen nichts dagegen tun.

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