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grüne in rostockJa heißt nein, nein heißt nichts

Es wird unappetitlich distanzlos zugehen auf dem Grünen-Parteitag in Rostock, wie in einer Talkshow von Michel Friedman: mit Anschreien und mit Anfassen. Alles, was man an den Grünen nie ausstehen konnte, wird noch einmal zu besichtigen sein: das tränenreiche Gejabbel und das Auswringen der Herzen ebenso wie das fäusteballende Beschwören der inneren Einheit. Einige werden auch „Verrat!“ zetern. Das allerdings ist der größte Irrtum: Wo nichts ist, kann nichts und niemand verraten werden. „Mein Ja war eigentlich ein Nein“, tremolierte Antje Vollmer, nachdem sie sich zum Stützstrumpf von Schröders Kriegskurs gemacht hatte. Gültiger kann die politische und persönliche Haltung eines Grünlings nicht zusammengefasst werden.

Kommentarvon WIGLAF DROSTE

Die Moral-statt-Verstand-Fraktion wird ein hoffentlich allerletztes Mal ihre aufdringliche und fadenscheinige Simulation von Gewissen vorturnen und dann geschluckt von Leuten, die das moralische Ticket eingetauscht haben gegen stumpfe Machtpolitik. „Wer wirklich mitreden will, muss doch wohl irgendwie mitmachen wollen“, schreibt Katharina Rutschky in einer Schwärmerei für Joseph Fischer, den sie sehnsuchtsvoll ein „political animal“ nennt. „Doch wohl irgendwie“: Mit diesem Jargon könnte sie es weit bringen bei den Grünen. Ihr Liebling Fischer wird, anders als in Bielefeld, in Rostock nicht mit Farbe beworfen. Zweimal schon hat Fischer bewiesen: Wer ihn und Schröder wählt, bekommt garantiert Krieg. Seine Anhänger scheinen es zu mögen, wenn die Körper von Zivilisten zum Ziel für Streubomben erklärt werden. Nein, wenn schon eine hilflose Protestgeste, dann eine ganz persönliche, wie Beate Klarsfeld sie Kurt Georg Kiesinger angedeihen ließ: eine Ohrfeige, nicht mehr und nicht weniger.

An den Karrierekragen geht es dagegen Fischers Hinterherdackler Rezzo Schlauch. In jeder anderen Partei wäre er nur ein schlechter Anwalt und ein großklappiger Porschefahrer mehr – bei den Grünen aber gilt die Null als Quersumme der Querdenker. Der Mann hat nicht den Instinkt seines Vorbilds. Als Schlauch sich im Spätsommer für die Bunte halb nackt im Waldsee fotografieren ließ, hatte er Pech: In derselben Ausgabe aalte sich Kollege Scharping samt Gräfin im Pool. Schlechtes Timing aber wird härter bestraft als miese Gesinnung. Wenn Rezzo Schlauch jetzt allein vor dem Spiegel steht, dann steht er vor dem Nichts. Seine Fotos aber finden immer noch eine Verwendung: als Appetitzügler.

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