friedensdemo: Es fehlen die Bilder – noch
Etwa 140 Gruppen aus ganz Deutschland riefen zur großen Berliner Demonstration gegen das Bombardement Afghanistans auf. Sie erwarteten bis zu 100.000 Teilnehmer – nur etwa 30.000 kamen. Zur Solidemo für die USA nach den Anschlägen am Brandenburger Tor strömten etwa siebenmal mehr Menschen. Warum gehen so wenige für den Frieden auf die Straße?
Kommentar von PHILIPP GESSLER
Zum einen wohl, weil die Bilder fehlen. Die Bombenwerferei der Amerikaner und Briten wird fast ausschließlich in Form von startenden Düsenjets sichtbar. Auch das Taliban-Regime zeigt kaum eigene Schäden – und was ist überhaupt noch heil in einem Land, das 20 Jahre Krieg erleiden musste? Zum zweiten ist Afghanistan weit weg, geografisch und mental: Sympathie für die frauenfeindlichen Steinzeit-Muslime in Kabul ist nur schwer zu erzeugen. Und dass vor allem die Bevölkerung unter ihnen und den Bomben leidet, diese Einsicht kann nicht recht mobilisieren, solange uns nicht Meldungen erreichen, dass tatsächlich vor allem Zivilisten getroffen werden. Zudem hat sich die deutsche Öffentlichkeit nach drei Militäreinsätzen unter Rot-Grün in Folge an eine immer größere Rolle des Militärischen in der Außenpolitik gewöhnt. Schließlich fehlt es an einer politischen Organisation, die eindeutig gegen den Krieg ist und den Unmut glaubhaft bündeln könnte – Gysis Aussagen zu Polizeiaktionen gegen die Terroristen waren Kollateralschäden für die Glaubwürdigkeit in die Friedfertigkeit seiner Partei.
Doch je länger der Krieg dauert, je größer und auch sichtbarer das Leiden der Zivilbevölkerung Afghanistans wird, je deutlicher erscheint, dass der Bombenteppich auf Kabul den mutmaßlichen Haupttäter nicht vor Gericht bringen wird, und je größer schließlich auch die Gefahr wird, dass der Krieg in Form von Terror nach Deutschland schwappt – umso mehr Menschen wird die Friedensbewegung aktivieren. Tot Geglaubte – sorry! – leben länger.
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