feuchte luft für die feuchte insel von RALF SOTSCHECK:
Falls Irland demnächst verschimmelt, ist Lidl daran schuld. Die deutsche Supermarktkette, die eine Reihe von Filialen in Irland hat, bietet jeweils montags und donnerstags Sonderangebote feil. Das Sortiment reicht von Filzpantoffeln über Kettensägen bis hin zu Großbildfernsehern mit eingebautem DVD-Spieler. Weil die Iren scharf auf Schnäppchen sind, herrscht an den beiden Tagen Hochbetrieb.
An den anderen Tagen ist hingegen wenig los, die Sondertische sind leer gefegt, in den Gängen verlieren sich ein paar Kunden. Weil Wein und Orangensaft billiger sind als anderswo, lud ich mir ein paar Kisten in den Einkaufswagen. Es würde ja nicht lange dauern, an der einzigen offenen Kasse stand nur ein Ehepaar an.
Doch dann kam es anders. Der picklige junge Mann, der missmutig am Scanner saß, war offenbar ein Lehrling und nahm die Sache genau. Ich hatte eine Flasche Rotwein und eine Flasche Orangensaft auf das Band gestellt und erklärte ihm, dass ich noch jeweils 23 Flaschen im Einkaufswagen hätte. „Die muss ich einscannen“, behauptete er. Aber nein, erklärte ich ihm: Es handle sich um 24 Flaschen derselben Sorte, er müsse also lediglich mit Hilfe seiner elektronischen Kasse multiplizieren.
„Das ist nicht die korrekte Art“, sagte er zu meiner Überraschung. „Korrekt ist es, jede Flasche zu scannen.“ Ob er nicht wenigstens die eine Flasche 24-mal über den Scanner ziehen könnte, schlug ich vor, schließlich sei der Strichcode bei allen Flaschen identisch. „Das ist nicht die korrekte Art“, zitierte er abermals aus seinem Handbuch für picklige Lidl-Lehrlinge und zwang mich, alle Kartons auszupacken. Hinter mir bildete sich eine für einen Mittwoch ungewöhnliche Schlange. Die Wartenden starrten interessiert auf das Rollband voller Wein. Nach 20 Minuten war alles gescannt und wieder verpackt. „Das war die korrekte Art“, triumphierte der Codestricher.
Am nächsten Tag wollte ich einen Blick auf die Sonderangebote werfen und beobachten, wie der lahme Lehrling mit dem Kundenansturm fertig würde, aber er hatte frei. Offenbar kommt er nur in ruhigen Verkaufszeiten zum Einsatz. Diesmal gab es Luftbefeuchter, die Gebrauchsanweisung war in fünf Sprachen auf der Verpackung abgedruckt. Luftbefeuchter? In Irland? Ich hatte bisher nur mit den gegenteiligen Geräten Bekanntschaft gemacht – mit Luftentfeuchtern. Auf den kleinen, aber entscheidenden Unterschied achteten die Menschen im Schnäppchenwahn aber nicht und balgten sich um die Fäulnisbeschleuniger, die am Abend ausverkauft waren.
Meine Bekannte Mary S., die direkt am Meer lebt, kam stolz mit einem Exemplar nach Hause und erzählte neidisch, dass ihre Schwester sogar zwei Stück erbeutet hatte. Dabei sind ihre Buden ohnehin zu feucht. Die Schwestern – und der Rest der Sondertischstrategen – hatten sich die Verpackung nicht genau angesehen, weil sie nicht mit Lidls Chuzpe rechneten, den Iren auf ihrer nassen Insel Luftbefeuchter anzudrehen. In der Lidl-Filiale in Grönland sollen demnächst Kühlschränke angeboten werden.
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