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einsatz in manhattanDas Unbehagen in der Supermacht

Ground Zero als Sommerloch

Letzte Woche ballerte der Pensionär John Chwaszczewski mit seinem Gewehr auf einen Hubschrauber, der inmitten eines Wohngebiets in Williamsburg, Virginia, landete – überzeugt davon, der Pilot müsse Terrorist sein. Der Polizei gegenüber gab Chwaszczewski zu Protokoll, dass seine Aktion „eine natürliche Reaktion“ gewesen sei, die sich seiner großen Furcht seit dem 11. September verdanke. Wenige Tage zuvor eskortierten zwei Kampfflugzeuge den American Trans Air Flug 204 aus Chicago bei seinem Anflug auf den New Yorker Flughafen La Guardia. Die berühmte indische Bollywood-Schauspielerin Samyuktha Verma saß mit Familie und Entourage in der Maschine, man wechselte Plätze, tauschte Notizen, ihr Vater zeigte aufgeregt auf die Skyline Manhattans. Grund genug für einen aufmerksamen Passagier, einen Flugbegleiter zu alarmieren, der dem Piloten Bescheid gab, der es dem Bodenpersonal übermittelte, das die Luftwaffe informierte. Kaum gelandet, wurden Verma und Anhang über mehrere Stunden von der Terrorism Task Force verhört, bis sich das Missverständnis schließlich auflöste.

Mit der Angst war es in Manhattan eigentlich nie weit her. Fürs Gefühl vom Cutting Edge musste es auch immer den Thrill geben, der die unbestimmte Furcht des Einzelnen kanalisierte und in Ventilfunktion das Stadtgespräch provozierte. Zwei Sommer vor dem 11. September ging die Angst vor dem tödlichen Westnil-Virus um, der von hiesigen Killermoskitos übertragen wurde. Das Fernsehen berichtete live von der Ausrottung der Insektenbrutstätten. Vor einem Jahr waren die Blätter voll von Haien, die in Florida einen surfenden Jungen zerrissen hatten. Waren New Yorks Strände sicher? Der Furcht wohnte stets auch ein verbündendes, demokratisches Moment inne. Jeden konnte es treffen, von Harlem bis nach Soho, von der Bronx bis zur Wall Street.

Am 11. September hat es dann jeden getroffen, bis ins Mark und unvergesslich. Aus etwas genüsslich Abstraktem wurde etwas ganz und gar Konkretes, aus dem Spiel mit dem oberflächlichen Thrill der Ernst eines tiefen Unbehagens, von dem sich das ganze Land und Manhattan bis heute nicht erholt haben, auch wenn die Kriege wieder woanders stattfinden. Erst vergangenen Samstag explodierte um 12.39 Uhr mittags ein Generator des mächtigen Elektrizitätswerks ganz am östlichen Ende der 14. Straße. 30 Meter hohe Stichflammen loderten in den wolkenfreien Himmel, in den Häuserschluchten zogen riesige schwarze Rauchschwaden rasend schnell südwärts. Die Sirenen von Polizei, Feuer- und Krankenwagen heulten von überall her, Kampfjets zogen ihre Runden, über 60.000 Kunden waren ohne Elektrizität. Am Ende gab es keinen einzigen Verletzten, die Kampfflugzeuge waren unterwegs zu einer Luftschau und der Stromausfall nach sieben Stunden behoben. Aber die Panik stand Tausenden auf die Straßen eilenden Menschen ins Gesicht geschrieben.

Das Cover des New Yorker von Art Spiegelman zeigte zum diesjährigen Nationalfeiertag am 4. Juli einen bettlägerigen Kranken, der sich statt des traditionellen Feuerwerks einen Atompilz über Manhattan ausmalt, dessen Rauchsäule dem World Trade Center gleicht. So ändern sich die Zeiten. 2001 rannten auf Christoph Niemanns Titelillustration zum 4. Juli noch vier Offiziere einer Kommandozentrale panisch einem kleinen Bildschirm entgegen, auf dem das Feuerwerk zu sehen war. So amüsierte sich der New Yorker über die hochtrabenden Pläne zur Errichtung eines doch ewig fehlerhaften wie außenpolitisch hoch sensiblen nationalen Raketenabwehrsystems – das George Bush inzwischen durchgesetzt hat. Es ist nicht mehr einfach, Position zu beziehen. Der gerechten Sache war man sich vor einem Jahr noch sicher, als man sich über das racial profiling empörte, als sich zeigte, dass Verkehrspolizisten sehr viel häufiger schwarze als weiße Autofahrer anhielten. Aber wie steht man nun zu einer Rasterfahndung, die vor allem arabische Ausländer und Mitbürger im Visier hat, von denen man sich mit einem Mal unterschwellig bedroht fühlt?

Die New York Times lenkte erst da verurteilend ein, wo sie eine Mobilmachung der Bevölkerung à la Stasi witterte. Das von Bush initiierte „Terrorism Information and Prevention System“ (Tips) will nämlich die Bürger dazu veranlassen, ihnen verdächtig erscheinende Begebenheiten einer noch einzurichtenden Behörde zu melden. Die soll diese Informationen in einer nationalen Datenbank vernetzen. Doch wer soll das bezahlen? Die Staatskasse ist allein dieses Jahr mit 165 Milliarden Dollar in den Miesen, von den zehn größten Firmenpleiten seit 1980 ereigneten sich über die Hälfte in den letzten 18 Monaten. Was den Sommer über bleibt, ist eine ungesunde Nervösität im Land.

THOMAS GIRST

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