editorial: In dieserliterataz
Woher kommt die Wut, und warum übt die Zerstörungslust der Rechtsextremen auf viele so eine Faszination aus? Das fragen sich die Soziolog:innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrer Studie „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“ und haben damit gleich einen neuen Begriff geprägt. Das Autor:innenquartett wiederum, das die politisch-gesellschaftliche Lage in Ostdeutschland analysiert, nennt das Vorgefundene, nicht minder kreativ, „Extremwetterlagen“. Mancherorts ist die Lage aber derart düster, dass nur noch harte Analysen und dunkler Humor helfen: Mit diesen Stilmitteln beschreibt die Journalistin Patricia Evangelista das von ihr aufgedeckte alltägliche Morden im Buchmessengastland Philippinen unter Präsident Duterte. Und der italienische Reporter Domenico Quirico lässt zwischen Reportagen aus Kriegsgebieten den Kalaschnikow-Erfinder munter von der AK-47 schwärmen, seinem ganzen Stolz. Welche Folgen es für die Überlebenden hat, wenn Mordtaten verharmlost und beschwiegen werden, schildern die Töchter von Opfern des NSU Gamze Kubaşık, Semiya Şimşek als bewegendes Jugendbuch.
Für die Trauer eine Sprache zu finden, das gestaltet sich als nicht ganz einfach. Nils Langhans macht sich trotzdem auf die Suche in seinem Debütroman „Irgendwo ist immer ein Meer“. In Callan Winks Abgesang auf den amerikanischen Selbstversorger-Traum übernehmen hingegen die Berge Montanas die Trauerarbeit. Doch genug der depressiven Stimmung: Dass die Trumps, Vances und Musks dieser Welt noch nicht gewonnen haben, zu dem Schluss kommt, wer den neuen Roman von Thomas Pynchon, „Schattennummer“, gelesen hat. Wobei sich das große Phantom der Literatur natürlich mitnichten mit einer Agenda erwischen lässt.
Ansonsten verläuft in dieser literataz so einiges nach Plan. Thorsten Nagelschmidt beugt sich in „Nur für Mitglieder“ der Diktatur der Fernbedienung. Die winterlichen Feiertage verbringt er mit den „Sopranos“ auf Gran Canaria. In München träumt man derweil vom großen Coup: Bernhard Heckler entführt die Leserin auf die Wiesn, hinein ins Bierzelt. Im Osten der Republik wartet indes ein Mordfall darauf, gelöst zu werden. Susanne Tägder lässt in ihrem Kriminalroman das Nachwendedeutschland von 1992 wieder auferstehen. Und wer es lieber abstrakter mag: Mit Maggie Nelson und ihrem Schreiben zwischen Poesie und Wissenschaft beschäftigen wir uns genauso wie mit den Gräben zwischen E- und U-Literatur, die Romance-Romane wieder neu aufreißen.
Redaktion: Nina Apin, Julia Hubernagel
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