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Protest in der KriseDie Kunst des Voranscheiterns

Angesichts der Krisenkonjunktur brauchen Ak­ti­vis­t:in­nen einen langen Atem für die Mühen der Ebene. Ein Plädoyer fürs hakenschlagende Durchhalten.

Inzwischen mit neuer Strategie, aber immer noch am Start: Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation Foto: Christoph Schmidt/dpa

Hamburg taz| Durchhalten hat nichts Glamouröses. Jedenfalls nicht, während man dabei ist, höchstens im Rückblick. Es ist ein großes Trotzdem, ein Dranbleiben trotz Rückschlägen, trotz Unpopularität, trotz Zweifeln. Zur Zeit halten einige durch. In der Ukraine, in der Klimabewegung, in der Überzeugung, dass Populismus keine Lösung ist.

Das sind die Felder, auf denen anfänglich viele Leute zu finden waren, man traf sich auf den Demos, es gehörte dazu, dabei zu sein. Die Halbwertszeit des Dazugehörens war überschaubar. Ein Kern von Leuten macht weiter und die anderen finden es inzwischen anstrengend, dass die Ukraine noch nicht gewonnen hat, das Klima nicht gerettet ist und es nicht gelungen ist, aus dem Populismus die Luft herauszulassen.

Die Bretter, die da gebohrt werden, sind dick und es nervt, dass kein Ende in Sicht ist. Es scheint auch beim Bretterbohren einen Kipppunkt zu geben. Dann steigen einige aus dem Projekt aus oder stehen so unbeteiligt daneben, wie sie es davor auch getan haben. Nur dass die Ausgestiegenen es jetzt nicht mehr toll, sondern auch einen Hauch störend finden, dass die anderen weitermachen mit ihrem Aktivismus. Weil der jetzt nicht mehr ein gemeinsamer Weg ist, sondern ein latenter Vorwurf.

Und die auf der anderen Seite? Machen weiter. Sei es als Minderheit, die einmal Massenzulauf hatte, sei es als ewige Kleingruppe. Manche tun das, was sie schon immer getan haben, weil sie glauben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie damit Erfolg haben. Andere überlegen sich neue Strategien. Fridays for Future (FFF) suchen den Zusammenschluss mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und streiken gemeinsam mit den Verkehrsbeschäftigten. Die Letzte Generation benennt sich um und sucht nach Aktionsformen, die weniger polarisieren.

Fahren auf Sicht

Durchhalten ist Fahren auf Sicht. Man kann nicht wissen, ob man das Ziel je erreicht. Kürzlich sprach ich mit einer Aktivistin von FFF, die als Schülerin dazu kam. Damals glaubte sie, dass nach fünf Monaten der Durchbruch erreicht sein würde. Jetzt ist sie seit Jahren dabei und sagt, dass man nicht einfach aufhören könne.

Etwas später sprach ich mit einem Aktivisten der Letzten Generation, der aus der Bewegung ausgestiegen ist. Wir haben es nicht geschafft, sagt er. Jetzt könne man nur noch Schaden begrenzen und das tut er auf einem Gnadenhof für Nutztiere, weil die sich, so sagt er, selbst nicht helfen können. Gut möglich, dass das, was wie Aufgeben aussieht, manchmal Durchhalten ist, nur eben mit anderen Mitteln.

Es gibt ein Durchhalten, das nach außen sichtbar wird, aber mindestens so oft ist es für die anderen unsichtbar. Der Chef eines Messerladens um die Ecke, der so lange weiter arbeitete, bis seine Angestellte einen ordentlichen Rentenanspruch hatte. Der Vater eines Sohnes mit Behinderung, der seit Jahren Geld sammelt um eine Wohngruppe auf die Beine zu stellen, in der sein Sohn leben kann, wenn er selbst nicht mehr da ist. Ein sehr kranker Ex-Junkie, der nicht rückfällig wird, obwohl die Zeiten schlecht sind für ihn.

Blut und Tränen

Durchhalten kann nach Blut und Tränen klingen, nach den Parolen, die die Putins der Welt rausschreien. Es ist eine Errungenschaft, dass wir selbst aussuchen können, wo wir durchhalten wollen. Was es nicht weniger anstrengend macht.

Vielleicht ist es in einer Zeit, in der zu oft nur mit ganz oder gar nicht gerechnet wird, sinnvoll ein Durchhalte-Konzept zu entwickeln, das ohne Stahl auskommt. In dem man dranbleibt, aber Pausen machen kann, um zu Atem zu kommen. Und in dem die Schlenker möglich sind, die es nun mal braucht. Weil man sich geirrt hat, weil die Gegenseite eine neue Taktik gefunden hat. „Voranscheitern“ hat das jemand von Psychologists for Future genannt. Ein Begriff, den man sich merken muss.

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