doppelblind: Warum Biber nicht auf den Teller, sondern in die Flüsse gehören
Worum geht’s?
Vor vier Jahren wurde Max Stiegl vom einflussreichen Restaurantführer Gault-Millau zum „Koch des Jahres“ gewählt. Vor ein paar Wochen traf den Österreicher nun ein Shitstorm, weil er in den sozialen Netzwerken Rezepte für Bibersuppe und „Biberwürschtln“ anpries: Die Nagetiere sind in Europa streng geschützt. Mitte der 1980er Jahre waren sie hier fast ausgerottet. Einerseits wurden sie gejagt: wegen ihres zarten Fleischs, ihres dichten Fells oder des „Bibergeils“ – eines harzigen, fett- und hormonhaltigen Sekrets, das Biber zur Fellpflege und Markierung ihres Reviers nutzen. Andererseits setzte den Tieren die Industrialisierung zu. In den 60ern und 70ern wurden die Flüsse immer dreckiger. Die Biber verloren ihren Lebensraum.
Heute sind die Nager wieder verbreiteter, etwa 300.000 Exemplare leben in der Bundesrepublik. Bis in die Städte haben sich ihre Reviere ausgedehnt, wie umgenagte Bäume auch in Berlin oder Göttingen belegen: Biber fressen ihre Rinde und Zweige. Das umfallende Holz nutzen sie als Baumaterial. Zum Schutz vor Feinden liegt der Eingang einer Biberburg stets unter dem Wasserspiegel. Das ständige Nagen am Holz garantiert dabei, dass ihre fortwährend wachsenden Zähne nicht zu lang werden. Allerdings bieten die Biber wegen dieses „Bäumefällens“ Projektionsfläche für allerlei Unsinn: Im Sommer 2024 machte der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) die Biber mitverantwortlich für die schweren Überschwemmungen in seinem Land. In Brandenburg versprach die FDP im Wahlkampf „Biber abschießen“, in München plakatierte die AfD „Biber oder Baum“.
Die Studie
Tatsächlich ist das Wirken der Biber äußerst produktiv für die Natur. In ihren Revieren ist die Artenvielfalt fast dreimal so groß wie in biberlosen Auen, wie eine aktuelle Studie der Universität Duisburg-Essen zeigt. Mit einem feinmaschigen Kescher entnahmen Forscher dafür zahlreiche Wasserproben – in drei Biberrevieren in der Eifel und in drei vergleichbaren Auen-Abschnitten, die die Nager nicht verändert hatten. Rückstände von Blättern und Stöcken wuschen sie aus, um die Menge und Vielfalt wirbelloser Tiere wie Käfer oder Fliegenlarven zu zählen. „Auffällig ist, dass in Biberrevieren keine Arten verschwinden, im Gegenteil kommen über 140 dazu“, sagt Sara Schloemer, Hauptautorin der Arbeit. Die Vielfalt der im Wasser lebenden wirbellosen Tiere – oft Nahrung von Fischen und Fröschen – lag in den Biberrevieren gar um den Faktor 4,5 höher. Selbst Arten, die auf starke Strömungen im Wasser angewiesen sind, lassen sich vom Biber nicht vertreiben. Die Nager tragen also dazu bei, die natürlichen Ökosysteme in Flüssen und Auen wiederherzustellen, so die Forscher.
Was bringt’s?
Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie finden? Jede hat einen Code, den sogenannten Digital Object Identifier, kurz DOI. Hier lautet er: https://doi.org/10.1111/fwb.70046
Noch mehr gute Argumente für Naturliebhaber! Sollen die Abschussfans, Starköche und Landwirtschaftsminister doch in ihren Städten bleiben. Nick Reimer
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