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die wahrheitIm Sumpf der Zeilensklaven

Unterm Schreibtisch lagern sie: CDs. Viele CDs. Eine Inspektion der Musikschreiberwelt.

Wer hätte nicht manchmal auch gern eine Dampfwalze zu Hause, um all die überflüssigen CDs voller Poprockbrei zu Klump zu walzen Bild: ap

"Geiz ist geil, das versteht kein Franzose", sagt der Wirtschaftspublizist Guilleaume Duval, aber das Wählen versteht der Franzose ja auch nicht. Also muss ich mich nicht dafür rechtfertigen, dass ich, statt neue Musik zu kaufen, als Gratisbezieher des

seit etlicher Zeit die dem Heft beiliegenden Kompilations-CDs nicht wegschmeiße, sondern unterm Schreibtisch stapele, um sie irgendwann mal anzuhören.

Vielleicht ist der Grund für meine geizige Horterei der uneingestandene, wenngleich schwach ausgeprägte Antrieb, pro forma "modern" und "auf der Höhe des Diskurses" sein zu wollen. Aber wer weiß schon stets, was sich im eigenen Kopf so zusammenbraut und staut.

Über vierzig hüllenlos aufgeschichtete CDs warteten jedenfalls seit Jahren darauf, von mir inspiziert zu werden. Neulich war dann plötzlich mal nichts zu tun, und mein Blick fiel auf den Minibabelturm zu meinen Füßen. Eine Kompilation nach der anderen landete im Player.

Ich hatte keine Lust, die Bandnamen auf den CD-Aufdrucken zu entziffern, und ließ die Dinger einfach durchrauschen. Probenraum-Geschredder, Reggae-Gebummel, U2-Imitate, Varieté-Anleihen mit Technobeats, Santana-Kopien, Art-Folk-Experimente, deutsches Bierkneipen-Geröhre, Girlie-Combos, Brit-Pop-Epigonen, Aufgüsse von Frankie Goes To Hollywood, Tom Waits, David Bowie, Lou Reed, den Stones, Cat Stevens und den Beatles bis zu Ice-T, klebrigster Diskoschleim, Akkordmähdrescher, Surfgeschwofe, Industrialschrott, Skagesänge, Achtzigerwatte, psychedelische Exkursionen, zwischendurch federnde Rocker, bewegende Harmonien und ordentlicher Punk - alles dabei.

Ein gewaltiges "Aha!" erschütterte mich. Der große Poprockbrei also, in all den "sumpfigen Randgebieten der Musikgeschichte" (Musikexpress) blubbernd, "der alte Streber Pop", "neu durchgestylt von seinen journalistischen Designern" (Sky Nonhoff).

Ich hatte es geahnt, wollte aber trotzdem wissen, was die "Zeilensklaven" (Jörg Fauser) in jenen Begleitschreiben, die auf jeweils einer Blattseite die monothematischen Zusammenstellungen anpriesen, über die monatlich neuen Trends mitzuteilen hatten. Unter den "zehn besten Newcomern des Jahres 2006" tummelte sich zum Beispiel das "supercharmante Debüt" der Slack-Noise-Rocker Giant Drag, daneben lieferten Band Of Horses "ein atmosphärisch stimmiges Album" ab, Midlake hingegen "eines der zauberhaftesten und tröstlichsten Alben", während es Gruppen wie CSS, "ein Haufen wepsiger Damen, die fancy Fächer wie Graphik- und Modedesign studiert haben", und Tapes n Tapes, "die heißgeliebteste amerikanische Indierockband des Jahres", mit a) "bestem Dancepop" und b) ihrem "unverkrampften und heiteren Zugang" ausgesprochen "innovativ, supercharmant und ganz und gar eigen" rissen.

Nun, ein Leserbrief bemängelte angesichts dieser Auswahl: "Sollte auch nur einem dieser Acts die Zukunft gehören, so gnade uns Gott", denn die "zehn x-beliebigen Schrammelnummern" seien unter aller Kanone. Allein, ich ließ mich nicht beirren und forschte fort. "Zehn Songs - jeder auf seine Weise ein kleines Meisterwerk", bewarb der Beipackzettel einer anderen Hörprobe. Demzufolge hatten The Earlies "eine moderne Collage gebastelt, die bereits bei einmaliger Anwendung halluzinogene Wirkung entfaltet", und die Formation Of Montreal - wenn schon keine Collage, die Wirkung entfaltet - "ein aberwitzig kreatives Album", "persönlich und emotional und dabei doch gleichzeitig hochabstrakt". Und so weiter und so fort

Affirmation verrät die sprachliche Korruption. Die "Maschinerie des Molochs Kulturbetrieb" (Jörg Fauser) und des "medialen Hypermarktes" (Sky Nonhoff) hält jenes "Geschäft mit Bewusstseinstrübung und Hirnverpestung" (Fauser) unerbittlich am Laufen, das Popjournalisten als unabhängige Kunstkritik verkaufen. Ein andermal bedichten sie ein von Coca-Cola getuntes Festival in diesem Jahr als "tröstende Umarmung an einem verweinten Tag" und also ex negativo als Herbert Marcusesches Glücksversprechen, um zwei Monate vorher zu kreischen: "Schluss mit akribischer Analyse und distanziertem Diskurs" - "zehn Songs, die die Emotionen ansprechen". Woraus in summa zu schließen sei: "2007, in dem Jahr, in dem die Neo-Wave-Begeisterung abflauen wird, ist Evolution die einzige Überlebensstrategie."

Nun hatte ich genug. Ich pfefferte die restlichen 32 Edelklump-CDs ungeprüft in die Mülltüte und entschied, weiterhin heillos old fashioned und gediegen unbelehrbar Deep Purple zu hören, insbesondere die gerade erschienene, mir zugesandte Platte "Live At Montreux 2006", die derart jazzt, wippert, shuffelt, wurlt und flirrt, dass mir die Musikindustrieavantgarde en bloc fortgesetzt wurscht sein kann. Deep Purple sind halt leider total geil.

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