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die wahrheitSchöne Grüße aus Paranoia

Auch Motorradfahrer haben Herzen - ich erkannte es daran, dass man Herzschlag aussetzte.

Auch Motorradfahrer haben Herzen - ich erkannte es daran, dass mein Herzschlag aussetzte: Seitlich am Tank meiner Maschine klebte ein kleiner gelber Markierungszettel, wie er von Beamten und Studenten gern zur Hervorhebung unwichtiger Stellen in unwichtigen Werken verwendet wird. Meistens schmieren die Benutzer solcher farbigen Klebezettel noch ein Ausrufezeichen darauf oder kryptische Angaben wie zum Beispiel: "vgl. pag. 17, Vers 127, § 4711". Nicht so in diesem Fall. Der Zettel war leer, er klebte nur.

Schlechte Filme spulten sich in meinem Kopf ab, und eine Szene wurde herausgeschnitten und vergrößert. Ganz klar - eine Bande international agierender Profidiebe hatte es auf dieses ultimative Superbike abgesehen, das sich frisch in meinem Besitz befand! Der "Marker" hat seine Runde gemacht. Lkw, Ladekran und Aufladeteam waren offenbar nur noch ein paar Straßenzüge weit weg. Alle Fahrzeuge mit Aufklebern wurden unterschiedslos einkassiert. Kurz darauf hatte ich schon die Telefonistin einer großen Versicherungsgesellschaft am Apparat. Sie freute sich über eine satte Nachzahlung.

Aber Vollkasko war mir nicht genug. Wenn das Motorrad erst mal weg wäre - nicht auszudenken! Ich schlug unauffällig drei Kreuze und beschloss, es den Dieben so schwer zu machen wie irgend möglich. Im Fachgeschäft ließ ich mir allerlei Sicherheitssysteme vorführen. Neben einer Auswahl von "Krallen" für die Bremsscheiben und einem Ringschloss von Unterarmdicke, lang genug, das Vorderrad an ein Verkehrsschild zu ketten, erstand ich eine ultramoderne Alarmanlage. Infrarotsensoren aktivieren bei geringster Erschütterung eine phonstarke Fanfare. Um der Begehrlichkeit des Profiverbrechertums künftig nicht einmal optische Anreize mehr zu liefern, ging ich weiter zum Regal mit den Schutzhüllen und erwarb eine schwarze, unauffällige Abdeckung sowie ein weiteres Schloss, um sie am Motorrad anzuschließen.

Doch war es wirklich klug, das arme wehrlose Fahrzeug so einsam an ein Stoppschild zu ketten? Zum Glück fielen mir zwei weitere Dinge ein. Erstens, dass ich ja noch das alte Bike - mein erstes Motorrad - besitze, und zweitens, dass auf der anderen Straßenseite eine jüdische Synagoge steht - perfekt! Mit zwei weiteren Stahlseilschlössern wird aus meinen beiden Maschinen ein kompakter Klotz von 450 Kilo Gewicht. Die beiden stehen jetzt an einer stabilen Laterne. Da die Synagoge rund um die Uhr bewacht wird, ist meistens ein Polizist unmittelbar neben meinen Motorrädern postiert. Und oft sitze auch ich morgens vergnüglich ob all der Sicherheit auf der nahen Bank in der Sonne, um meine Post zu lesen.

"Schreib doch mal wieder!", flötet es lustig aus den Briefzeilen meiner unnachgiebigen Freundin. "Hab dir nen Denkzettel an die Angeberkiste gepappt, aber du kapierst ja auch wirklich gar nix mehr! Jetzt wo du mit deiner Neuen so glücklich bist!" Der Denkzettel hatte gesessen. Zum Starten brauche ich seither eine halbe Stunde - bis alle Schlösser entfernt und samt der Plane verstaut sind. Aber die alles entscheidende Frage beschäftigt mich dennoch stärker als je zuvor: Ist die Maschine denn nun wirklich außer Gefahr ?

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1 Kommentar

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  • AZ
    A. Z.

    Im Prinzip, sehr geehrter Herr Wolf, ist Ihr Motorrad sicher. Mindestens so sicher jedenfalls, wie ihre Rente. Einzige Bedingung: Sie müssen daran glauben.

     

    Nicht, das es keine international agierenden Profi-Diebe mehr gäbe. (Wer wüsste besser, als Sie, der Sie Journalist sind, wie verdorben und gefährlich unsere Welt tatsächlich ist). Aber immerhin dürfen Sie nun, da die Zettel-Geschichte ans helle Licht der Wahrheit gekommen ist, Ihre Prioritäten wieder selbst bestimmen: Möchten Sie sich Ihr geliebtes Superbike lieber als Objekt der krankhaften Gier arbeitsscheuer, moralvergessener Subjekte imaginieren, oder doch lieber als so eine Art dreidimensional-mobiles Schwarzes Brett, an dem vertrauenswürdig-befreundete Individuen ihr dringendes (und auf Sie als Person gerichtetes) Informations-Bedürfnis stillen. Dank des klärenden Hinweises Ihrer Bekannten haben Sie nun wieder die (freie) Wahl. Nutzen Sie sie! Möglich, dass sie dadurch eine Menge Zeit, Kraft und Nerven sparen.