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die wahrheitDer böse Rocker Gerd

Mal ist es zornig, mal schwarz, mal listig, mal blass, mal dürr, mal russisch: Das Gesicht des Bösen...

Mal ist es zornig, mal schwarz, mal listig, mal blass, mal dürr, mal russisch: Das Gesicht des Bösen. Oft hat es etwas Froschhaftes, was nicht ganz unlogisch ist, denn das giftigste Wesen auf unserem Globus ist nicht etwa die Viper oder die Vogelspinne, sondern ein kleiner quakender Frosch - nicht unähnlich dem Herrn Koch in Hessen, dessen Physiognomie ja etwas Krötenartiges anhaftet, vom permanenten Quaken und Unken ganz zu schweigen. Kein Wunder also, dass er, um von sich abzulenken, das Böse lieber in den Gesichtern junger Männer morgenländischer Abstammung sieht, was einige von denen mit Stolz erfüllt.

Das Böse aber wird bald aus den Gesichtern der türkischen Jugendlichen und des Herrn Koch verschwinden, schließlich hat die Zeit noch jedem Gesicht des Bösen seinen Schrecken genommen. Die Dämonen in Michelangelos jüngstem Gericht dienen heute adipösen württembergischen Pauschaltouristen als Staffage für digitale Urlaubsfotos; Graf Dracula muss als Masche im Kölner Karneval herhalten, um die Kollegin anzugraben; das Konterfei Stalins wie auch Hitlers ziert Kaffeetassen und Cognacflaschen. So nagt der Zahn der Zeit unermüdlich das Böse von den Bildern des Schreckens. Nur das Lächerliche bleibt.

So ist es dem Rocker ergangen. In der Nachkriegszeit war er das, was für den Herrn Koch und Millionen verängstigte Spießer heute der Arabo-Neuköllner Schlagetot ist, eine unberechenbare Mischung aus konfuser Energie und triebhafter Bosheit. 1971 drehte Klaus Lembke den Film "Rocker" mit echten Rockern und Zuhältern, was im Kino Faszination und Nervenkitzel auslöste. In den Programmkinos taucht dieser Film Jahr für Jahr so sicher auf wie der Frosch im Tümpel. Den Film guckt kaum mehr jemand, das Filmplakat mit Rocker Gerd aber ist allgegenwärtig, sodass Gerd zum Archetyp des Rockers wurde, seine pechfettigen Strähnen, sein mit dem Schraubendreher getrimmter Seitenscheitel, sein Schnurrbart mit einer Verdichtung, der selbst die dickste Harley nicht das Öl reichen kann. Der Rest ist gelacktes Leder.

Das Gesicht blieb, die Wirkung verwandelte sich. Das Rockerhafte - hart zu sich selbst, brutal zu anderen - ist verflogen, aus Bewunderung wurde Häme, aus Furcht Kult. Die Zeit ist dem Rocker davongeeilt, das Böse ist ihm abhanden gekommen, die Werbung für Lebensversicherungen gibt ihm nun den Rest. So dachte ich, bis ich dem leibhaftigen Gerd begegnete, im Hamburger Beatclub auf St. Pauli.

Schon seit ewigen Zeiten ziert sein Plakat die Wand gegenüber dem Tresen. An jenem Abend hatte Gerd es satt, sich von Indie-Pop-Fuzzis verspotten zu lassen. Er löste sich aus dem vergilbten Filmplakat, schob mich roh zur Seite und bestellte mit rostiger Grabesstimme Bier und Korn. Sein Geruch verriet, dass er die letzten 15 Jahre in einer Kellerspelunke geklebt hatte. Nun drehte er die Zeit zurück und zog alle Register des Rockertums, er pöbelte, soff, baggerte, röhrte, dröhnte, schimpfte, sülzte, lallte und rülpste animalisch. Ein Graus für die Tresennachbarn, ein Spaß für die Punks in sicherer Entfernung, die Hölle für mich. Im infernalischen Schwefelgestank seines Schwitzkastens musste ich gestehen: Okay Gerd, du bist noch immer böse.

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