die wahrheit: Neues aus Neuseeland: Wir sind hässlich, aber haben Ukulelen
Mein Freitagnachmittag ist mir heilig. Freitags übt meine Ukulelen-Gruppe in Lyttelton. Jo, Julie, Suzie und ich treffen uns reihum bei uns ...
... und machen es uns nett. Eine wirft den Kamin an, die andere kocht Tee oder stellt den Wein kalt.
Julie, die stricken kann wie eine friesische Oma, zeigt uns ihr neuestes Nadelwerk: fingerlose Stulpenhandschuhe in Türkis. Sie strickt am liebsten absonderliche Knuddeltiere in Kackbraun oder Orange, deren Rasse nicht eindeutig zuzuordnen ist. Julie ist ein echtes Retro-Mädel, immer in langen Schals, Ballonmütze, Converse-Turnschuhen. Ihre Bude steht voller Fünfzigerjahre-Resopalmöbel. Stricken ist da nur konsequent - und Ukulele-Spielen äußerst stringent.
Ich will ja nicht behaupten, dass ich den Trend als Erste erkannt habe, aber immerhin habe ich schon vor zwei Monaten das "Wellington International Ukulele Orchestra" live erlebt. Zehn Mann hoch in Blumenketten und einer Laune, die für die ganze Südsee gereicht hätte. Sie spielten auf, ich klatschte mit und kaufte mir am Stand später für 40 Dollar meine erste Ukulele: quietschgelb, mit Tragetäschchen, fast wie ein Spielzeug. Sie wurde mir leider später auf einer Verkleidungsparty geklaut, deren Motto "Hawaii 5-0" lautete - es war ein 50. Geburtstag, ich ging als Hula-Girl.
Dank Jo, Julie und Suzie komme ich zu meiner zweiten Ukulele. Die Damen laden mich zu ihrem Musikkränzchen ein, und ich will nicht kneifen. In ganz Christchurch sind alle billigen Ukulelen ausverkauft - der Trend muss bereits weit um sich gegriffen haben. Schließlich erstehe ich ein etwas hochwertigeres Modell, diesmal in schlichtem Holz. Der Instrumenten-Vergleich nimmt in unserer ersten Übungsstunde die Hälfte der Zeit ein: "Die klingt so blechern" oder "Wir könnten sie mit Paua-Muscheln oder Tiki-Figürchen bekleben, das sieht funky aus", erklären sie, und das Stimmen, Teekochen und Weintrinken füllt fast den Rest der Zeit.
"Ganz wie bei meinem Buch-Club", schwärmt Suzie, Meisterin in gesellschaftlichen Gepflogenheiten, "da reden wir auch nie über Bücher." Doch Julie meint es ernst. Sie zückt die Liedtexte, die sie für uns kopiert hat. Singen kann eigentlich niemand von uns und Ukulele-Spielen auch nur mäßig. Doch wir greifen beherzt in die Saiten. Vor uns liegt ein Song der Sex Pistols. "I am the Anti-Christ, I am an anarchist", murmeln wir mehr, als dass wir singen. Als der Sprechgesang vorbei ist, stimmen wir ein Volkslied an: "Pokarekareana" kennt schließlich jede, das rollt von der Zunge.
"Noch etwas Wein?", fragt Jo höflich. Sie ist die perfekte Gastgeberin. Suzie schlägt Leonard Cohen vor: "Der hat so schöne Sachen komponiert." Julie zieht "Chelsea Hotel" aus ihrem Ordner. Brummelnd und schief murmeln wir uns durch die Zeilen: "Giving you head on the unmade bed, while the limousines wait in the street?" Der Kamin prasselt. New York, Blowjobs und das Fixer-Hotel sind weit. Wir kämpfen uns tapfer bis zum Schluss durch, der da lautet: "We are ugly, but we have the music." - "Ha! Unser Motto!", jubelt Julie auf und greift nach ihrem Strickzeug. "Nächste Woche", sagt sie, "kaufe ich mir eine Pineapple. Das beste Modell. Dann legen wir aber richtig los."
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