die wahrheit: Der rote Heiland
Die Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Franz "Messias" Müntefering.
Der 7. September 2008 schlug wie eine Bombe im Kalender ein. Den Journalisten blieb die Spucke im Hals stecken, manchem Politiker stand für eine Schrecksekunde das Gehirn still. Selbst viele gewöhnliche Sterbliche waren, als die Nachricht sie überrollte, platt wie ein Häschen in der Wäschemangel, wie eine sauerländische Bauernregel lautet. Von der Sensationsmeldung überrumpelte Touristen stürzten fassungslos von der Kuppel des Reichstages, Bürger in ganz Deutschland verschluckten vor Verwirrung sich selbst, die Milch wurde sauer, die Luft erbleichte. Denn was in fünf Milliarden Jahren Erdgeschichte nicht geschehen war, nun war es passiert: Kurt Beck hatte ungewaschen und unrasiert seine Arbeit bei der Bundes-SPD in den Wind geworfen, und Franz Müntefering, der Messias aus dem Sauerland, nahm die Trompete des Parteiführers in die eigenen Fäuste, zum zweiten Mal nach 2004.
Wahrlich, dieser 7. September platzte ins Weltgetriebe, so eine Redensart aus dem Sauerland, wie eine Eiterblase am Hintern, die sich erst beim Hinsetzen mit lautem Knall bemerkbar macht. Franz Müntefering also, der eckige Mann mit dem roten Schal, der Johannes Heesters der SPD: Kaum dass er kein Privatleben mehr am Bein hat, gibt er den Heiland, bildet mit Steinmeier das neue Dreamteam der Partei und soll in einer SPD, die sich in Flügelkämpfen ganz und gar aufzuessen droht, das Steuer um 100 Prozent herumwerfen. Zwar ist Müntefering mit 67 Jahren jenseits jeder jungen Kante. Aber wie die Sauerländer sagen: Gerade ein leerer Sack hat viele Falten. Und dass er berufen ist, für große Stimmung zu sorgen, hatte er schon am 4. September im Münchner Hofbräuhaus offenbart, wo hunderte erwachsene Parteimitglieder dem sensationell Wiederauferstandenen aus vollem Hals zujubelten.
Angebetet von allen: Da kann, wer noch seine sieben Zwetschgen im Kasten hat, schon die Glotzaugen kriegen. Müntefering schwebt ja nicht über den Linken und Rechten in der SPD gleich dem Geist Allahs, sondern hat die schwarze Agenda 2010 auf seinem langen Kerbholz und balbierte mehrfach die eigene niedliche Partei über den brutalen rechten Löffel! Er war als williger Vollstrecker des von der Großbourgeoisie gemästeten Gerhard Schröder Teil der Achse des Bösen!
Nichtsdestodings genießt Müntefering den starken Ruf des geborenen Mannes von unten. Schließlich ist er nur Volksschule, brummte eine einfache Lehre ab und besorgte als unscheinbarer Industriekaufmann jahrelang für Geld einem mittelständischen Betrieb die diversen Geschäfte. Bis heute liegen in seinem Berliner Abgeordnetenbüro als Symbol seiner Volksverbundenheit ein Bauhelm und ein Zollstock auf dem Schreibtisch, steht immer ein Kasten Bier bereit, rotiert von morgens bis abends eine Zementmischmaschine. Und auf einem leiernden Kassettenrekorder laufen in einer Endlosschleife die Schlachtgesänge von Schalke 04 und Borussia Dortmund.
Der gewöhnliche Hinz und Kunz nimmt jede Arbeit. Nicht anders Müntefering in der Politik. Es gibt kaum einen leeren Stuhl, auf dem er nicht Platz nahm und sich Zentimeter um Zentimeter größer machte: Wurstelte sich vom Stadtrat in Sundern, wo er bald nach seiner Geburt das Leben erlernte, über den Unterbezirksvorstand Hochsauerland und den Vorsitz des Bezirks Westliches Westfalen bis zum Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen hoch, boxte sich vom wohnungsbaupolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion über den parlamentarischen Geschäftsführer und den Parteivorstand bis zum Bundesgeschäftsführer der SPD und Generalsekretär empor, wurackte sich vom nordrhein-westfälischen Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen bis zum Bundesarbeitsminister und Vizekanzler hinauf, ochste als Bundestagsfraktionsvorsitzender ebenso wie als Parteivorsitzer sich das Hinterteil schrundig und malochte nebenbei in seiner Freizeit als Bundestags- und mitunter gleichzeitig Landtagsabgeordneter, bis er spätabends mit ausgeleiertem Mundwerk und abgepumptem Hirn zu Bette sank.
Müntefering: Ist er nun eine prima Heilsgestalt oder eine 1a Pestbeule? Im Sauerland heißt es: Eine Bäuerin mit drei Brüsten hat auch Platz für den Teufel. Etwas klarer wird die Grütze, wenn man Münteferings Arbeit als Fraktionsvorsitzender von 2002 bis 2005 betrachtet. Geschickt verstand er es, die Zuchtrute zu dosieren, köchelte die einen auf kleiner Flamme, ließ die anderen Männchen machen, zog die dritten in Einzelgesprächen am Ohr und ließ die vierten sich ausmären, bis sie sich erleichtert hatten und zustimmen konnten. Auf dieses probate Mittel gegen die Linken setzt die Parteispitze auch diesmal, da sie Müntefering zum zweiten Mal in den Sattel schraubt. Schon träumt die SPD, die bei aktuellen Umfragen eben noch unter "Sonstige" rangierte, von Wahlsieg und Weltherrschaft.
Wohin also wird die SPD unter Müntefering rutschen? Niemand weiß es. Oder wie es ein Sprichwort aus dem Sauerland umschreibt: Der Wurm, der in ein Nasenloch kriecht, kommt selten zum Hintern wieder raus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW