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die wahrheitVertrauen ins Misstrauen

Angesichts eines Kapitalismus, der gerade zeigt, was viele ahnten, macht ein Wort eine steile Karriere: Von Angela Merkel über Peer Steinbrück bis zu Josef Ackermann reden alle nur noch von "Vertrauen".

Angesichts eines Kapitalismus, der gerade zeigt, was viele ahnten, macht ein Wort eine steile Karriere: Von Angela Merkel über Peer Steinbrück bis zu Josef Ackermann reden alle nur noch von "Vertrauen" und "Vertrauenskrise" und nicht mehr von so schönen Dingen wie "Performance", "Standort" oder "Synergieeffekten".

Mit dem Vertrauen ist es wie mit der ehelichen Treue: Je mehr Eheleute nachprüfen, ob der andere treu ist oder nicht, desto mehr unterminieren sie beim andern und bei sich selbst, was eine Basis von Treue ist: Vertrauen. Am Schluss vertrauen beide nur noch ihrem Verdacht, doch noch nicht ausreichend nach Beweisen der Treue oder Untreue des anderen geforscht zu haben - also dem Misstrauen.

Je genauer Banken gegenseitig ihre Vertrauenswürdigkeit begutachten, desto mehr Unsicherheiten und Unwägbarkeiten und desto mehr Prüfungsbedarf werden sie feststellen und damit das schwächen, was sie zurückgewinnen wollen - Vertrauen. Zuletzt vertrauen alle nur noch ihrem Misstrauen.

Vertrauen mündet also zwangsläufig in Paradoxien. Damit meinen die Fachleute Befunde, die dem wörtlich Gemeinten zuwiderlaufen, oder die Verwunderung über einen sinnwidrigen Sachverhalt. Wer sagt, "dieser Satz ist falsch", formuliert einen paradoxen Satz. Denn der Satz ist falsch, wenn er wahr ist, und wenn er unwahr ist, muss man ihn - gegen seinen Wortlaut - für wahr halten.

Um solchen Paradoxien zu entgehen, haben Experten Strategien entworfen. Die erste stammt von Lenin, der angeblich gesagt haben soll: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!" Trotz seiner dubiosen Herkunft lieh sich der sozialdemokratische Finanzminister Steinbrück den Satz aus für seine Lösung der aktuellen Vertrauenskrise und gab den Bankern im Vertrauen auf die Kontrollierbarkeit zunächst eine Bürgschaft für 26 Milliarden Euro. Bürgen, weiß jeder Steuerzahler, tut man würgen.

Die zweite Strategie stammt von Niklas Luhmann und Josef Ackermann. Nach Luhmann sollen wir nicht weiter auf Personen mit ihren Mucken und Macken vertrauen, sondern auf Systeme, denn "Systeme tun, was Systeme tun müssen", und nicht, was sie wollen, wie die Banker und Spekulanten. Wir müssen also nur vom Vertrauen auf Personen auf "Systemvertrauen" umschalten, und dann läuft der Laden wieder rund. Das hat sich sein Schüler Josef Ackermann gemerkt und predigt nun den An- und Aufbau von "europäischem Systemvertrauen" und "sozialem Kapital" angesichts des amerikanisch-verlotterten Kapitalismus. Warum dessen Bruder in Europa mehr Vertrauen verdienen soll als der jenseits des Atlantiks, ist allerdings ein Bankgeheimnis.

Die genialste Strategie, der Vertrauenskrise und den Paradoxien des Vertrauens zu entkommen, stammt von Petra Roth. Die war Arzthelferin und ist seit vielen Jahren Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main und als solche mit allem Menschlichen bestens vertraut. Einer ihrer Vorgänger sprach von "Schweinen", als er das Vertrauen verlor und abgewählt wurde. Frau Roths Rezept gegen Abwahl und Vertrauenskrise lautet deshalb: "Geist in Kapital verwandeln", dann bleibt man vertrauenswürdig - fast für ewig.

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