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die wahrheitEine reparaturbedürftige Geschichte

Einmal jährlich gibt es eine Abwechslung: Wenn die Geschichtenerzählerin das Dorf besucht. Am Abend kommen alle auf dem Dorfplatz zusammen. Ist es trocken, ...

Einmal jährlich gibt es eine Abwechslung: Wenn die Geschichtenerzählerin das Dorf besucht. Am Abend kommen alle auf dem Dorfplatz zusammen. Ist es trocken, wühlen sie sich in den gestampften Lehm wie die Hühner, ist es nass, sinken sie zur Hälfte im Schlamm ein. Etwa bis Mitternacht bleiben alle in ihren Mulden liegen, verzehren mitgebrachte Substanzen unterschiedlicher Konsistenz und lassen sich unterhalten.

Die Geschichtenerzählerin trägt ein brettsteifes, wie angenageltes Gewand sowie einen riesigen alten Regenschirm. Ihr vielfarbiges Haar ist mit Sondermarken durchsetzt und in Form eines Kapotthutes geflochten. Fluchend pflegt sie sich in den Schmutz zu setzen, um unter wildem Grimassieren die Geschichten mit den Händen aus ihrem Inneren zu ziehen. In diesem Jahr ist es nicht anders. Sie richtet, von leichtem Drehen der Hände begleitet, das Wort an ihre Zuhörerschaft und spricht: "Meine Damen und Herren, es handelt sich jetzt darum, die folgende Geschichte zu erzählen."

Doch als sie damit anfängt, wird schnell offenbar, dass an der Geschichte alle "r"s und "e"s defekt sind. Verschiedene Silben und Wörter funktionieren ebenfalls nicht, manche kann die Erzählerin zwar erkennen, aber nicht aussprechen. Außerdem sind die Zeilenabstände stimmhaft, was besonders störend wirkt. Der Vortrag erstirbt in Klicklauten und Gebrumm. Die arme Frau hebt und senkt die Hände und wackelt mit dem Kopf. So etwas hat es noch nicht gegeben. Während sich der Bürgermeister, solange die Geschichtenerzählerin im Dorf weilt, in bemerkenswerter Zurückhaltung übt, sieht er sich nun doch zum Handeln gezwungen. "Sie müssen sofort in die Werkstatt", bestimmt er. "Der Monteur soll Sie reparieren."

Bevor die Geschichtenerzählerin antworten kann, raffen sich alle auf, brechen Stücke gestampften Lehms und schöpfen Hände voll Schlamm aus dem Boden des Dorfplatzes und schultern ihre mitgebrachten Substanzen. "Werkstatt" hören und sich träge dort hinschleppen ist den Dorfbewohnern eins. Wozu sie die Brocken Lehm und Schlamm mitnehmen, zeigt sich unterwegs: Sie werfen den ganzen Dreck freudig zu den offenen Fenstern der Hütten hinein, an denen sie vorbeikommen. Dadurch bauen sie einen Teil der inneren Spannung ab, die das Warten auf die Geschichte erzeugt.

Die Geschichtenerzählerin begibt sich an die Spitze der Prozession, flankiert vom Bürgermeister. Durch eine finstere Einfahrt erreichen sie eine Stahltür, auf der "Werkstatt" steht. Der Bürgermeister stößt sie auf, und eine weitläufige, in Zwielicht getauchte Halle ist zu erkennen. Augenblicklich drängen die Dorfbewohner hinein, um sich in den Boden einzugraben. Das ruft den Monteur auf den Plan, und der Bürgermeister trägt ihm das Problem vor. "Verstehe", sagt der Monteur schließlich, "Das kriege ich hin."

Die Erzählerin wird an einen Apparat angeschlossen. Dann lässt der Monteur ein Reparaturprogramm laufen, das der Bürgermeister zum Zwecke späterer kultischer Verwendung mitstenografiert. Leider tritt ganz zuletzt ein fataler Fehler auf. Im Rahmen seiner Möglichkeiten wirft das hilfsbereite Publikum mit Schlamm und Lehmbrocken.

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