die wahrheit: end-emo mit zitronentiger
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass der Frühling naht, aber im Moment träume ich herrlich wirre Geschichten.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass der Frühling naht, aber im Moment träume ich herrlich wirre Geschichten.
Bei einem Britney-Spears-Konzert stehe ich in der letzten Reihe. Ich kann das Geschehen auf der Bühne gut sehen, obwohl vor mir zweitausend Mädchen stehen, aber die sind alle ungefähr zwölf Jahre alt und mindestens einen Kopf kleiner als ich. Hören kann ich allerdings nichts von der Musik, denn die zweitausend Zahnspangen kreischen sich die Seele aus dem Leib - bis es plötzlich still wird. Denn zwischen zwei Stücken macht Britney Spears eine Ansage: "Jungs, werft eure Slips auf die Bühne!"
Das ist typisch für Popkonzerte, weiß ich. Tom Jones oder Robbie Williams fordern ihre weiblichen Fans auch immer auf, mit Unterwäsche zu werfen. Leider gibt es hier aber keine Jungs in diesem Konzert. Jungs finden Britney Spears nämlich gar nicht gut. Ich bin das einzige männliche Wesen im Saal, also muss ich mich wohl opfern. Ich ziehe meine Hose aus, streife meine Shorts herunter, und gerade als ich meine Unterhose über die Köpfe der Mädchen hinweg auf die Bühne werfen will, dreht sich eine der jungen Damen um und schreit: "Iiiih, der ist ja nackt!"
Ich bin nicht nackt, möchte ich einwenden. Schließlich trage ich noch ein Hemd und ein Jackett, aber zweitausend Köpfe fahren herum, und wenige Sekunden später sind zweitausend ausgestreckte Zeigefinger sowie ein paar Gitarrenhälse und Mikrofonständer auf mich gerichtet. Da kommt auch schon ein Polizist und verhaftet mich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. "Na, dann kommense mal mit - alle!", brummt er.
Im Polizeirevier finden sich also Britney Spears, der Polizist, ich und zweitausend Mädchen vor einem Pult ein, an dem meine Personalien aufgenommen werden. Wenigstens bin ich wieder vollständig bekleidet, aber mein rechter Arm zuckt seltsam. "Parkinson?", fragt der Polizist. "Nein, SMS!", antworte ich und erkläre ihm, das ich vor kurzem ein neues Prada-Handy gekauft habe. Dazu gehört eine Armbanduhr, die jeden Anruf oder jede Mitteilung anzeigt. Ich hatte den Vibrationsalarm eingestellt, so dass mein Arm dauernd zuckt.
"Ist das Handy auch nicht gestohlen?", fragt der Polizist. Entrüstet antworte ich ihm: "Ich bin doch kein Verbrecher - wie der Zitronentiger hier!" Ich meine den Drogendealer, der neben mir steht. "Nein, das ist kein Verbrecher", bestätigt der Zitronentiger, und der Polizist grummelte zufrieden: "Na, denn muss ich sie ja laufen lassen."
Endlich kann ich meine SMS lesen. "Jetzt kommt die End-Emo", hat mir mein Nachbar geschrieben. Mein Nachbar ist Filmmusiker und macht den Sound für die Actionserie "Cobra 11", bei der krachend Autos zerschrotet werden. "End-Emo" ist Fachjargon und meint die letzte Szene einer Fernsehsendung, wenn der Showdown vorbei ist, die Bösen verhaftet sind und die Guten gemeinsam erleichtert über einen dummen Scherz lachen. Wie bei "Flipper". So stehen wir nun da: Britney Spears, der Polizist, der Zitronentiger und ich. Der Zitronentiger formt mit seiner Hand eine Kralle und tut so, als ob er die Zähne fletscht und faucht. Begeistert kreischen die zweitausend Zahnspangen.
Ich aber erwache und bin froh, dass ich nicht Dr. Freud heiße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung