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die wahrheitEin Nichts an Nichts

Eine wahre Begebenheit aus der Welt der Kunst.

Ein berühmter deutscher Kunsttempel. Auf der sogenannten Museumsstraße, einer Schlucht aus Waschbeton, stehen zwei Museumsarbeiter, eine Kuratorin, ein Fahrrad.

Museumsarbeiter 1: "Schönet altet Fahrrad."

Museumsarbeiter 2: "N sehr schönet altet Fahrrad."

Kuratorin: "Intervention 23"

Museumsarbeiter 1: "Wat?"

Kuratorin: "Na, das Fahrrad. Das wird die neue Rauminstallation auf der Museumsstraße: Little Blue Bicycle."

Museumsarbeiter 2 (zeigt auf das Fahrrad): "Der Drahtesel? Na, da drehn wa doch gleich ma ne Runde."

Kuratorin: "Hände weg, das ist Kunst."

Museumsarbeiter 1 (kennerisch): "Det is Duchamp, olle Kamelle."

Museumsarbeiter 2 (begutachtet den Rahmen): "Kettler Classic."

Kuratorin: "Asta Stint-Sörensen aus Kopenhagen, sie war damit auf der Biennale in Venedig."

Museumsarbeiter 1: "Mit nem Fahrrad?"

Kuratorin: "Sicher. Mit Little Blue Bicycle."

Museumsarbeiter 2: "Stramme Waden, alle Achtung!"

Kuratorin: "Bitte?"

Museumsarbeiter 2: "Na, die dänische Dame."

Museumsarbeiter 1: "Wie lang hat se denn jebraucht von Kopenhagen bis Venedig."

Kuratorin: "Wie jetzt?"

Museumsarbeiter 1: "Wie lang war se denn unterwegs, die Dänin mit ihrm Fahrrad?"

Kuratorin: "Blödmänner."

Museumsarbeiter 2: "Sachte, sachte, junge Frau, wir sind hier zwar nur det Prolletajat, aba beleidijen lassen müssen wa uns nich vom Akademismus."

Museumsarbeiter 1 (betont sachlich): "Ja, wo stelln was hinne?"

Kuratorin: "Wen?"

Museumsarbeiter 1: "Der Dänin ihr Bicycle."

Kuratorin: "Weg. Wir stellen es weg. Einfach weg."

Museumsarbeiter 2: "Wir stelln dit weg?"

Kuratorin: "Wir stellen es weg. Es darf ja nicht zu sehen sein."

Museumsarbeiter 1: "Ik dachte, wir stelln det aus."

Kuratorin (wird pädagogisch): "Wir stellen es aus, aber nicht hin. Das ist ja der Witz."

Museumsarbeiter 2. (tippt sich an die Stirn): "Det is Kokolores."

Kuratorin (seufzt, zieht einen Zettel aus der Tasche und liest): "Little Blue Bicycle ist die verlorene Erinnerung an das Movens der ErFAHRbarkeit. Im Spannungsfeld von Sein und Schein widersetzt sich die Installation tradierten installativen Praktiken und spiegelt paradigmatisch die seit den 1960er-Jahren fortschreitende Auflösung des Werkbegriffs, wie sie in der Durchsetzung interaktiver kunstproduzierender Praktiken sichtbar wird. Damit verweist Little Blue Bicycle auf den antiobjektivistischen Impuls der Theorien ästhetischer Erfahrung in den kunsttheoretischen und philosophischen Debatten, die die konkrete Anwesenheit eines Kunstobjektes entbehrlich machen und dem Betrachter eine neuartig aktive Rolle zuweisen."

Museumsarbeiter 1: "Aber wat soll der Betrachter denn nu machen. Yoga? Löcher inne Wand kieken?"

Museumsarbeiter 2: "Radfahn jedenfalls nich."

Der Direktor, Typ sehniger Grandseigneur in Jeans und Maßjackett, mit Fliege und wallender weißer Haarpracht tritt hinzu, an seiner Seite die Künstlerin Asta Stint-Sörensen.

Direktor: "Ich sehe hier wird fleißig aufgebaut."

Museumsarbeiter 1: "Wegjeräumt. Hier wird wegjeräumt."

Direktor: "Was denn weggeräumt?"

Museumsarbeiter 2: "Det Fahrrad, hier."

Direktor: "Wem gehört denn die alte Scheese?"

Kuratorin: "Das Fahrrad gehört Frau Stint-Sörensen."

Direktor (zur Künstlerin): "Sie sind doch mit dem Taxi da."

Stint-Sörensen: "Bin ich geføhre mit die Taxi heute. Aber iss meine Bisssycel."

Direktor (launig): "Verstehe, verstehe. Ready Made, Revolution surrealiste, Marcel Duchamps Fahrrad-Rad."

Stint-Sörensen: "Nee, nee, iss eine gaanz nørmale Føhrrød."

Direktor: "Das kann hier aber nicht stehen bleiben."

Kuratorin (verdreht die Augen): "Aber das sag ich doch die ganze Zeit".

Stint-Sörensen: "Wird gleisss verssswunde sssein."

Direktor: "Das will ich auch hoffen. (Er sieht Künstlerin und Kuratorin erwartungsfroh an.) "Und was zeigen wir dann morgen unseren Besuchern?"

Museumsarbeiter 1 (murmelt): "Det jähnende Nüscht, Sartre, janz olle Kamelle."

Kuratorin (eilfertig): "Das Movens der Beweglichkeit."

Direktor: "Da darf man ja gespannt sein. Meine Damen, ich erwarte Großes." (Er wirft ihnen eine Kusshand zu. Im Gehen wendet er sich an die Museumsarbeiter:) "Also, Männer, weg mit dem Drahtesel, her mit der Kunst."

Künstlerin und Kuratorin sehen betreten zu Boden. Museumsarbeiter 1 steigt kopfschüttelnd in den Sattel, Museumsarbeiter 2 klemmt sich auf den Gepäckträger. Sie radeln davon.

MICHAEL QUASTHOFF

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1 Kommentar

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  • W
    Welcher

    So ist das nun mal mit der Kunst. Die Ansprüche wachsen und gedeihen. Welcher zeitgenössisch orientierte Liebhaber ließe sich wohl noch herbei, sich so was Abgestandenes, schwerfällig Hingepinseltes wie die "Mona Lisa", die "Nachtwache" oder - statt lieber das Abgründige einer römischen Eisdiele zu erkunden - den Besuch der Sixtinischen Kapelle zuzumuten?