die wahrheit: Gestorben wird immer
Die Seuche zur Krise. Von toxischen Papieren zu giftigen Tieren.
Ob sich da wohl ein findiger Spin-Doktor gedacht hat, Feuer müsse mit Feuer bekämpft werden? Jedenfalls hat die Schweinegrippe die Bankerschweine im Ranking um das größtmögliche Übel überholt. Jetzt gibt es also die Seuche zur Krise. War in den letzten Monaten von giftigen Wertpapieren die Rede, die dekontaminiert werden müssten, so ist heute jeder, der einen Sombrero trägt, ein potenzieller Todesbote.
Durch die Metaphorik der giftigen Geldprodukte dürften sich zumindest all diejenigen bestätigt fühlen, die in den Achtzigerjahren ihr Küchenschränkchen mit der Weissagung des Häuptlings Seattle verunzierten: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann." Wohl wahr, trotzdem sind die Derivate jetzt plötzlich toxisch geworden, und der Kreislauf des Geldes droht, an einer Sepsis zugrunde zu gehen. Wenn allerdings Geld und Blut miteinander vermengt werden, ist es eigentlich eine gute Zeit für Antisemitismus als Antikapitalismus der dummen Kerls. Dass bisher noch keiner aus dem bürgerlichen Lager versucht hat, damit zu punkten, lässt auf einen minimalen Lerneffekt seit 1929 schließen.
Ein nicht unerwünschter Nebeneffekt der Schweinepest ist ein wohliges Gattungsgefühl. Zwar werden nicht alle Menschen Brüder, aber alle Menschen werden krank. Höchstwahrscheinlich oder zumindest vielleicht. Die Aussicht auf millionenfachen qualvollen Tod mit gelblichen Auswurfbröckchen, die in Zeitlupe und Großaufnahme auf Flu TV immer wieder gezeigt werden, während Politiker in Gedanken schon nachrechnen, wie die Todesrate ihre Wahlchancen beeinflusst, erzeugt einen wohligen Grusel und lässt die Gattung Mensch gedanklich zusammenrücken. Während sich die G-8-Staaten feist ihrer Tamiflu-Depots brüsten, wäre es interessant zu erfahren, welche Länder keine Impfstoffe besitzen: Nigeria, Bangladesch, Afghanistan? Im letzteren Fall hieße das: Frieden schaffen ohne Waffen. Das Schwein, es ist das ideale Tier, um der Menschheitskrise ein Gesicht zu geben. Die Kälber auf staksigen Beinen zu Zeiten des Rinderwahns waren vielleicht etwas für Freunde des Cowboy-Films, und die toten Schwäne von Rügen anlässlich der Uraufführung der Vogelgrippe bei uns dürften allerhöchstens eingefleischten Lohengrin-Fans Tränen der Rührung entlockt haben. Aber ein kleines bisschen Schwein steckt doch in uns allen. Schwein gehabt, heißt es, wenn wir glauben, Glück gehabt zu haben. Die Landwirtschaftslobbyisten der CMA warben vor Jahr und Tag mit dem schlichten und genialischen Slogan: "Schwein muss sein - beiß rein". Dass demnächst von Feuerland bis Novosibirsk Schweineesser und Vegetarier aller Länder ins Gras beißen müssen, scheint im Augenblick aber eher unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher ist, dass alles seinen geregelten Gang gehen wird: Die Grillsaison ist bereits eröffnet, Atemmasken werden der Brüller im Karneval 2010, ansonsten wird so gestorben wie sonst üblich: an schmutzigem Wasser, an Unterernährung, an Aids. Schade, es hätte so schweinisch schaurig-schön werden können.
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