die wahrheit: Kontinent vor der Urne
Das europapolitische Essay: Die wichtigen Europawahlen in Europa
Die politisch interessierten Europäer unter den Bürgern Europas haben es seit Wochen auf dem Schirm: Vom 4. bis 7. Juni 2009 ist in Europa Europawahl. Ein ganzer Kontinent geht zur Urne! "Mit Europa durch Europa zu Europa!", "Für ein Europa der Europäerinnen und Europäer Europas!", "Europa, Europa über alles!", so trommeln überall die Parteien Europas auf Augen und Ohren der Wählerinnen und Wähler in Europa ein.
"Das Europäische Parlament ist die Vertretung der Völker und Menschen in Europa", schreibt Bruno Zandonella in seinem Handbuch "pocket europa" und gibt an, dass die 375 Millionen Wahlberechtigten und entsprechend Befugten unter den 490 Millionen Europäern in Europa genau abgemessene 736 Abgeordnete und Menschen für das Europaparlament zu wählen haben und ihre Zunge auf die Waagschale Europas legen dürfen.
Den meisten Europäern geht Europa jedoch an der Nase vorbei, so die knietiefe Befürchtung. Viele Politikerinnen, Politiker und Menschen erinnern sich an den letzten Juni 2004, als längst nicht alle mit einer Stimme ausgerüsteten Wahlbürger willens waren, die Zügel des Schicksals zwischen die eigenen Zähne zu nehmen. Die Wahlbüros gähnten vor Leere, und der Schreck ging allenthalben in die Hose.
"Die wenigsten machen sich klar", so der Europaabgeordnete Hans Kloßbrühe, "dass nur gute Europäer die besten Europäer sind, die man sich wünschen kann. Viele", fährt er redend fort, "vergessen, dass die europäische Erfolgsgeschichte eine regelrechte Erfolgsgeschichte für Europa ist! Man denke nur an die Erschaffung der Europäischen Union 1991, die Erfindung des Euro 1999 oder die 2004 erfolgte Ausbreitung Europas nach Osteuropa. Ohne das alles würde es das alles nicht geben!" Egal, ob man für oder gegen Europa ist, eines ist für Hans Kloßbrühe deshalb sicher: dass in Europa keine Alternative zu Europa auf den Tisch kommt. Damit kann dieser Essay eigentlich schon die Schlusskurve einläuten, und es bleibt nur noch eines zu klären: Wer oder was ist Europa? "Wer? Das sind selbstverständlich wir in Europa!", sagt die bayerische Europapolitikerin Anna Schmarrn und pustet ihren Stolz auf den deutschen Beitrag für Europa heraus: "Wir in Europa sind wer in Europa!"
Allerdings kann auch sie nicht leugnen, dass die Europapolitik dem Durchschnittsbürger nur in vielen hundert Kilometern Entfernung begegnet. Von weit her erfährt er, dass die Europäische Kommission für die EU-einheitliche Normierung von lockeren Schrauben gesorgt hat, dass der Europäische Rat demnächst vorschreiben will, wie viele Tassen in Europa im Schrank sein dürfen, dass der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung als vereinbar mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gebilligt hat oder dass es irgendwo da draußen ein Europaparlament gibt.
Indes, so fragt sich vielleicht der von diesen vielen Begriffen verbeulte Leser, was bedeuten sie überhaupt? Dr. Jürgen Blech, der in der Brüsseler EU-Verwaltung arbeitet, hat eine einfache Antwort: "Der Europäische Rat, die Europäische Kommission, der Europäische Gerichtshof und das Europäische Parlament sind im Grunde nichts anderes als Körperschaften." Was so einfach klingt, ist es auch, wenn man sich erst einmal klug gefressen hat und weiß, dass der Europäische Rat weder mit dem Europarat und dem Rat der Europäischen Union in derselben Hose steckt noch der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte denselben Hintern haben.
Damit dürfte jetzt alles im Sack sein, und da nun wirklich das Ende dieses Spitzenessays am Horizont aufgeht, nur ein letztes Wort über das Europäische Parlament: Zwar ist Europa bereits das Europa der Bürger und braucht deshalb eigentlich kein Parlament mehr. Die Architekten Europas haben jedoch entsprechende Vorkehrungen in Papier gegossen. So braucht das Europäische Parlament weder über Krieg und Frieden zu entscheiden noch sich mit Agrarpolitik, Steuerpolitik und anderen Wörtern mit dem Suffix "-politik" zu befassen, die in den Koffer der Politiker gehören. Als Interessenvertretung vielmehr der Bürger hat sich das Europäische Parlament vielmehr die Interessen der Bürger auf den Leib gestanzt und in der jüngst verstorbenen Legislaturperiode zum Beispiel die Fangquoten für illegale Einwanderung neu abgesteckt, in einer Resolution die europaweite Bodenhaltung von Landwirten gefordert und festgelegt, dass die Straßen in Europa dort liegen müssen, wo sie gebaut werden.
Es hat also seinen butterguten Grund, dass alle Bürger gerade im Europäischen Parlament ihren Platz haben, denn die anderen Körperschaften sind ja schon voll. Körperschaften, die zusammen auf einen Namen hören, den Namen von Europa, und er lautet: Europa! Ein Name, der an Herrlichkeit sogar Europa selber übertrifft! Und wenn vom 4. bis 7. Juni überall in Europa Europa gewählt wird, gibt es, egal, was Europa wählt, nur eine Wahl: Europa!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers