die wahrheit: Grillen auf dem Grat des Wahnsinns
Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn sei ausgesprochen dünn, sagt man. Und seit dem Zeitpunkt, als ich mich selbst ganz dreist der ersten Kategorie zugeordnet habe, fürchte ich mich vor diesem Grat...
Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn sei ausgesprochen dünn, sagt man. Und seit dem Zeitpunkt, als ich mich selbst ganz dreist der ersten Kategorie zugeordnet habe, fürchte ich mich vor diesem Grat. Allzu leicht, denke ich, könnte ich hinüber gleiten, und dann ist es zu spät, weil das ein sogenannter Einbahn-Grat ist. Wer erst mal drüben ist, bleibt für immer seiner wahnsinnigen Seite verfallen. Manchmal glaube ich, es könnte schon so weit sein. Etwa wenn ich, wie eben, auf der Suche nach dem Grund für ein mysteriöses Kuckucksgeräusch durch die ganze Wohnung irre, um dann vor dem Geschirrspüler stehen zu bleiben und mich zu fragen, was hier nicht ganz rund läuft: das Gerät oder ich?
Auch zweifle ich an meinem Geisteszustand, wenn ich zwischen dem Gerümpel auf meinem geniemäßig zugemüllten Schreibtisch wieder einmal einen Zettel ausgrabe, auf dem so etwas Merkwürdiges wie "Crackzäpchen" steht. Was habe ich mir dabei nur gedacht? Wollte ich vielleicht einen Text schreiben über die Hitliste der abartigsten Drogen? Und warum habe ich nicht auch die anderen perversen Rauschmittel notiert? Stattdessen steht gleich unter Crackzäpfchen folgender Satz: "Fortpflanzung wird von weiten Teilen der Bevölkerung als elementar angesehen". Das mag ja stimmen, aber es passt doch nicht zusammen. Könnte es also sein, dass ich schon schizophren bin? Vielleicht gewinnt mein Gehirn in einem Anflug von Allmachtsfantasien manchmal die Oberhand über mich und lässt mich dann wirres Zeug auf Zettel schreiben. Könnte ich mir schon vorstellen, so aus Rache, weil ich das gute alte Hirn sonst gerne mal abschalte. Doch auch diesen Gedanken könnte man schon wieder als schizophren bezeichnen: Ich gegen mein Gehirn? Wie gut, dass ich es rechtzeitig gemerkt habe.
Aber nicht nur mein eigenes Verhalten lässt mich die Güte meiner Wahrnehmung infrage stellen. Auch bei manchen Begegnungen mit Mitmenschen überlege ich, ob sich das wirklich gerade so zugetragen haben kann. Beispielsweise, wenn ich kurz nach Mitternacht in den Keller hinuntergehe, um für eine Freundin Umzugskartons herauszukramen und dort meinen Nachbarn vorfinde, wie er sich genüsslich ein Steak grillt. Grillen im Keller, das ist doch irre! Nun, da ich mir über das Verhalten meiner Nächsten etwas mehr Gedanken mache, erscheint mir das, was ich so tue, schon gleich viel normaler. Aber ich will hier über niemanden urteilen, bestimmt hatte der Nachbar eine große Karriere als brillanter Wissenschaftler vor sich und hat nur die Warnzeichen übersehen. Er war nicht auf der Hut und ist rübergerutscht über den Grat - hinein in den Wahnsinn. Armer Kerl. Wie gut, dass ich da vorsichtiger bin. Ich achte auf die Warnsignale. Apropos, was war das schon wieder für ein Geräusch? Da war doch so ein Zirpen! Hören Sie das auch? Also entweder legt jetzt der Geschirrspüler seinen Klarspülgang ein oder die Grillen des Nachbarn haben Auslauf. Ich werde mir das gleich mal notieren: "Grillen im Spüler? Nachbar fragen." Geniale Idee, oder?
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