piwik no script img

die wahrheitEizellen mit Pornobrillen

Der neuste Hauptstadttrend: Junge Menschen werden immer jünger.

Vor einem Szenelokal steht eine Gruppe junger Männer beim Jojospielen. Die Endzwanziger möchten für ihr kindisches Getue bewundert werden; sie sind mit merkwürdigem Ernst bei der Sache und tragen - welch bizarrer Kontrapunkt! - komplett komische Opahütchen, wie viele das jetzt tun.

"Sei Kindchen, und du bist voll dabei", haben sich die Opinion Leader schon seit Jahren auf das Schlabberlätzchen geschrieben. Erst klöterten Anzugträger mit winzigen Tretrollern über den Potsdamer Platz. Weiter ging es mit der Wiedereinführung des Poesiealbums durch die Hintertür mittels MySpace, StudiVZ und Facebook, junge Erwachsene setzten sich Babymützen mit langen Wollkordeln auf oder spielen nun eben Jojo.

Dabei kennt der Kleinkindhype längst andere Kaliber. So folgten den Rollschuhläufern, die zu Tausenden Berlin lahmlegten, um aus der Kindchenmasche ein Politikum zu machen, Dreiraddemonstranten und Murmelspieler, die dem Fließverkehr den Rest gaben.

Auch sieht man immer mehr "Holzis" zwischen den Tischen von Szenekneipen ihre Holzeisenbahnen aufbauen und stundenlang damit spielen. Andere, die sogenannten "Smurfers", müssen vom Barkeeper gehindert werden, ihre umfangreichen Schlumpfsammlungen auf dem Tresen aufzubauen und die Gäste mit hellen Rufen wie "Guck mal, das ist der Gitarrenschlumpf" oder "Tauschst du mein Schlumpfinchen gegen den Hammerschlumpf?" zu belästigen. Die Obercoolen setzen ihre Schlümpfe in die Holzeisenbahnen. Über diese "Crossover-Kiddies" liest man in einschlägigen Internetforen auch durchaus kritische Töne der "Pure Smurfers" und "Oldstyle Holzis", die das Crossen als Verrat an der reinen Idee brandmarken, wie etwa im folgenden Posting von User "Murkel-Baby": "die krossies sin danz danz plöd. menno, ich will, dass die solln nur schlumpfspielen oder nur dolzbeisenbahn, wei, wei, wei ich das sons plöd finde." Wie man sieht, hat sich der Szenejargon nicht zuletzt unter dem Einfluss von SMS und Twitter immer mehr aufs Babyhafte reduziert.

Angesagte Playgrounds finden sich auch in den Buddelkästen rund um den Berliner Helmholtzplatz. Aus der Ferne möchte man die Insassen noch für junge Väter halten, doch rasch zeigt sich, dass da irgendwas nicht stimmt: So sind gar keine Kinder in der Nähe, und wenn es doch ein paar neugierige wagen, werden sie auf der Stelle verjagt. Die Endzwanziger mit den Opahütchen möchten ungestört mit ihresgleichen spielen. Mit Feuereifer backen die "Sand Box Dudes", wie sie sich in kindlichem Stolz selber nennen, Sandkuchen oder schlagen einander im ausgelassenen "Freestyle" Förmchen und Schäufelchen um die Ohren. Die Sandkästen gehören nicht dem Bezirk, sondern zum nahegelegenen Szenecafé "Dornröschens Hang Out Bistro".

Daneben hüpfen junge Frauen mit Pornobrillen zwischen gespannten Gummiseilen herum. Sie spielen "Heaven & Hell" und tauschen dabei den neuesten Gossip aus, während die echten Kinder weitgehend unbeachtet in ihren Kinderwagen schreien.

Doch nicht ganz unbeachtet, denn stets kann es passieren, dass ein fremder Endzwanziger vorbeikommt und in einem günstigen Moment den Schnuller stiehlt. Den brauchen die "Dummys" für ihre tagelangen Schnullerpartys. In geheimen Clubs in stillgelegten Kindertagesstätten fahren sie einander in zu Buggies umfunktionierten Einkaufswägen hin und her, planschen auf Speed in kleinen Plastikbadewannen und lassen sich von spezialisierten Prostituierten säugen, wickeln und beim Szenecodewort "A-a" auf den Pott setzen. Die einzigen Pausen eines solchen Partymarathons bestehen im vierstündigen Mittagsschlaf, ungestört vom monotonen Dauergestampfe der Hardcoregabbaversion von "Biene Maja".

Je jünger, desto angesagter lautet das Motto. Erste Fötuspartys werden gemeldet, deren Teilnehmer sich in ausrangierten Geburtskliniken versammeln, wo sie zu Ambientklängen ganze Wochenenden über einfach nur zusammengekrümmt daliegen und sich durch künstliche Nabelschnüre Becks Gold oder Club Mate zuführen. Und eine Nacht in der Woche öffnet das kultige Badeschiff am Spreeufer nur für "Spermies", die als Spermien verkleidet im Takt der Chill-Out-Music mit Opahütchen durchs Wasser paddeln, bis sie auf eine Eizelle mit Pornobrille treffen. Die meisten kriegen keine ab - das ist nicht anders als in der Spießerdisco.

Da fragt man sich schon, wie weit der Wahnsinn noch (zurück-)gehen soll. Ist aber auch nicht so wichtig, denn die Szene ist ohnehin sehr kurzlebig: Gibt es Streit um Schnuller, Jojo, Eizelle, Rollschuh oder Sandschäufelchen, löscht man den Kontrahenten einfach aus der Friends-Liste. Winke, winke!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

7 Kommentare

 / 
  • L
    Lillymona

    öhm....wie sieht denn so ein Opahütchen aus?

  • D
    dogman

    Ihr habt Probleme..., tsstss :-)! Und ich dachte wir hätten eine Wirtschaftskrise...

  • P
    PerditaDolorosa

    "Opinion Leader" scheint also immer noch ein Begriff in dieser Pseudowissenschaft zu sein. Ich bin sehr froh ihn hier in neuer etw. sinnvollerer Verwendung wiederzusehen.

  • S
    sabinchen

    @name

    Du bist echt schlau. Ich will ein Kind von dir.

  • V
    vomTurm

    Yo, die Tazler sind ja richtige Schnellchecker. Die Sehnsucht zurück in den mütterlichen Schoss zeigt sich auch recht deutlich im neuen Feminismus, anderers kann man sich nicht erklären, daß sich 30 plus x Frauen selbst "neue deutsche Mädchen" betiteln. Nach dem Sushi-Wahn, hauseigene queer-lesbische DJane in jedem Frisörstudio-Location und das plazieren von alten Atari Spielkonsolen in Szenekneipen dachte man eigentlich dümmer geht´s echt nicht mehr. Aber man wird natürlich von Berlin nicht enttäuscht, da wo der Szeneschmand als erstes strandet. Auch nett, die Medienboys mit Rudi Dutschke Frisur und die linksalternativen "Schreiberlienchen" mit ex-DDR Beton-Pony und Barfuss auf Berliner Dächern-Gehabe. Schon schön, wenn man Angst vor der Gegenwart hat, gell?

  • EO
    Erika Oczipka

    Ich kann Sie beruhigen. Es gibt inzwischen eine Gegenbewegung: das Sterben vor der Geburt. Und ob dies aufzuhalten sein wird, ist mehr als fraglich. Also, es war so: in der Kölner Uni-Klinik sind dank einer Unachtsamkeit in einem Labor eine große Menge Spermien von der Pipette gerutscht. Das war schon eine Leistung von den kleinen Dingern. Aber nicht nur das, sie beschlossen - gemeinsam ist man stärker - zusammen zu bleiben und zu fliehen, um sich von dieser komischen Welt zu verabschieden, aber nicht ohne ein Zeichen zu setzen. Alles unbemerkt. In einem dunklen Winkel hielten sie Rat. Als die Laborkraft am folgenden Morgen mit den besten Vorsätzen an den Tatort, von dem sie ja nichts ahnte, zurück kam, bot sich ihr ein merkwürdiges Bild. Auf der schwarzen Schreibtischauflage stand geschrieben in einer schönen, aber mehlig-grauen Schrift vom Stil 'Comic Sans MS': "Wir machen da nicht mit. Wir gehen gemeinsam in den frühen Tod."

    Erst die Para-Psychologen (die Klinik-Psychologen fanden das unter ihrer Würde) fanden des Rätsels Lösung und rieten, die Warnung ernst zu nehmen. Der Fortbestand der Menschheit stehe in Frage, wenn weiter künstliche Befruchtungen und dergleichen Manipulationen stattfänden, wo doch das Gegenteil angepeilt war.

    Diese Nachricht ist geheim und ich bitte, Missbrauch auszuschließen.

  • N
    name

    Da ist der Herr Autor natürlich umso cooler und erwachsener, je mehr Anglizismen er verwendet. Playground, Gossip und Opinion Leader, wobei letzterer Ausdruck nicht das Trends setzen meint, wie es im Beitrag beschrieben wird, sondern eine Meinungsführerschaft, die enststeht, wenn starke Mediennutzer Informationen direkt an Dritte weitergeben und kommunikationswissenschaftlich veraltet ist. Aber egal, Hauptsache cool, bewandert und intellektuell wirken.