die wahrheit: Wiedersehen mit Wurst

Geschichten zum Winden. Heute: Das vergessene Hochzeitsgeschenk. Dringender Warnhinweis:...

Mit Schweineschmalz beschichtete Wurst im Kübel. Bild: ulrich kerth / mauritius

...Personen mit einer niedrigen Ekeltoleranz, einem schwachen Magen oder etwa Halswirbelschäden sollten wegen der hohen Windungsgefahr von der Lektüre dieses Wahrheit-Textes absehen.

In einem Dorf im Hessischen küsste vor guten sechzig Jahren und mehr ein junger Metallarbeiter seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: "Auch wenn der Krieg noch kein Jahr vorüber ist und der Winter uns allen zusetzt, so lass uns heiraten!" Und weil niemand in der Gemeinde Einwände erhob, gaben sie sich kurz vor dem Weihnachtsfeste des Jahres 1946 das Jawort, und eine kärgliche Hochzeit wurde abgehalten.

Die Gäste taten zwar ihr Äußerstes, um ein wenig Glanz auf den Geschenketisch zu zaubern, aber das Brautpaar selbst hatte darum gebeten, lieber etwas Essbares beizusteuern als haltbare Dinge für den Küchen- oder Kleiderschrank. Und so kam es, dass die Brautleute überwiegend frisch Geschlachtetes bekamen, von dem das meiste sogleich wieder in den ausgehungerten Mägen der Festgäste verschwand. Wurstesuppe stand damals ganz oben auf der Wunschliste. Und sie floss reichlich.

Es war aber auch Dauerhafteres dabei, zum Beispiel Ahle Worschd, das Nationalgericht des Landstrichs, die wohl viele Jahre überleben mag, was aber selten vorkommt. Und ein riesiger Topf eingemachte Leberwurst war unter den Geschenken, mit einer schützenden Schweineschmalzschicht überzogen, die wie der Wurst die Pelle ein langes Überleben sichern sollte. Das bläuliche irdene Gefäß, zwiebelmusterhaft verziert, überlebte denn auch das Hochzeitsfest und wurde, für einen späteren Verzehr gedacht, im Schlafzimmer auf dem Ehekleiderschrank abgestellt, auf dem im Laufe der Aufschwungjahre immer mehr Betttücher und Sofadecken, Sesselschoner und Daunenkissen abgelegt wurden, so dass Mitte der Fünfzigerjahre von dem Wursttopf nichts mehr zu sehen war.

Unterdessen wurden die Römischen Verträge unterzeichnet; und Bundeskanzler Adenauer trat der Nato bei; und der Kalte Krieg ging weiter; die Wunderstute Halla trug ihren schwerverletzten Reiter in Stockholm zur Goldmedaille; und KPdSU-Chef Chrustschow schlug vor der UNO mit seinem Schlappen auf den Tisch, dass die Fetzen und Juri Gagarin durch den Weltraum flogen; das Grubenunglück von Lengede nahm einen überraschenden Verlauf; bei der Fußballweltmeisterschaft in Chile herrschte auf dem Felde eine Zerstörung wie nach dem Erdbeben von Lissabon; und beim HSV spielte mit Arkoc Öczan der erste türkische Torwart in der Bundesliga, ehe Uwe Seeler sich beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt die Achillessehne riss … - als eines Tages die mittlerweile gereifte Braut im ehelichen Bett keinen Schlaf mehr fand.

Ein unerklärliches Vibrieren lag in der Luft, das man angesichts der Jahreszeit, es war August, noch für eine Mücke oder Fliege halten mochte. Der schließlich geweckte Ehemann aber wollte und konnte nichts hören und schlief sofort wieder schnarchend der Frühschicht entgegen. Aber auch das Schnarchen war es nicht. Denn selbst bei Abwesenheit des Gatten war der Frau, als bewege sich der Kleiderschrank irgendwie auf sie zu. Um den Verdacht zu widerlegen, zog sie mit Nähkreide, die sonst zum Übertragen von Schnittmustern auf die Stoffe diente, enge Linien um die Füße des Schranks. Aber auch nach vielen Wochen war keine Wanderung des Möbels zu erkennen.

Was blieb, waren der Verdacht und eine zermürbende Schlaflosigkeit, die der Ehemann, je mehr es auf den Tag der Silberhochzeit hinausging, in die Welt weiblicher Überempfindung und nervlicher Schwäche abschob. Schon machten Worte wie "Wechseljahre" und "Hitzewallungen" die hässliche Runde im matratzenteiligen Ehebett.

Als aber die Eheleute eines Nachts selbst von einer Hochzeitsfeier nach Hause kamen und der schwer angesäuselte Gatte beim Ausziehen seiner Strümpfe gegen den Kleiderschrank rumpelte, fiel von diesem ein bläuliches Gefäß auf die schon im Bette liegende Gattin, zerbrach auf der Stelle und gab den Weg frei für ein gelblich waberndes Knäuel fetter Maden, die nun nach jahrzehntelangem Verzehr nordhessischer Leberwurst ihren Weg in die Freiheit fanden, nachdem sie diesen in mühvoller Kleinarbeit und abgestimmtem Ruckeln Jahr um Jahr und Nacht für Nacht nanometerweise vorbereitet hatten.

Selbst der unerschrockene Gatte, der von alldem nichts hatte wissen wollen, fiel beim Anblick des Gewusels noch in Unterhosen auf seine schlüpfrig bedeckte und vor Schreck erstarrte Ehefrau und war zu keiner Tat mehr zu gebrauchen. Dafür aber waren bis ins Morgengrauen manche Gefühle wieder da, die zwischen dem Ehepaar schon erloschen schienen. Und wenn es nur der Körperkitzel war, den eine Armada aus Maden in die Laken wuselte.

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kari

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