die wahrheit: Das Mindestfettverbot
Die Türkei stimmt gegen Fett im Schweizer Käse.
Die Türkei spaltet die Geister: Hat sie nun einen Riesenschritt in Richtung echte Demokratie getan oder wieder nur auf Unterdrückung und Abkapselung gesetzt? Per Eilverfahren hat die Türkei jüngst das Instrument des Volksentscheids eingeführt. Dem leuchtenden Beispiel der Schweiz folgend setzt das anatolische Land von nun an auf direkte Demokratie. Doch das Thema, über das als Erstes abgestimmt wurde, sorgt für zwiespältige Gefühle: Es geht um Mindestfett, genau genommen um das Fett im Käse, das in der Türkei als schädlich für die Volksgesundheit angesehen wird.
So waren alle Bürger der Türkei aufgerufen, sich am Volksentscheid zu beteiligen und über den künftigen Umgang mit der fetten Gefahr abzustimmen. Die konservative Partei Milli Shimlic hatte die Initiative um das Mindestfettverbot auf den Weg gebracht - und das äußerst erfolgreich. Millionenfach stürmten die Bürger die zu Wahllokalen umfunktionierten Moscheen. 83,6 Prozent der Stimmberechtigten (alle über 9 Jahren) stimmten für ein künftiges totales Import- und Verzehrverbot von Käsefett. Ein Votum, das im Ausland mit Besorgnis gesehen wird. Vor allem käseexportierende Nationen, wie die Schweiz, sehen sich damit einer hinterhältigen Diskriminierung ausgesetzt. Der Botschafter der Schweiz in der Türkei, Georg Hüngerli, betonte: "Dieses falsche Spiel der Türkei wird sich noch bitter rächen. Sich unter dem Deckmantel der Demokratisierung derart gegen Käseimporte zu verschließen, kann nur in die Isolation in Europa führen."
Davon könne jedoch keine Rede sein, sagt der Initiator der Kampagne, Orhan Küctürk: "Wir haben hier nicht über ein Käseverbot abgestimmt, die Ernährungsfreiheit ist damit nicht beschädigt worden. Käse ist weiterhin erlaubt, nur das viele ungesunde Fett darin nicht." Küctürk stellt klar: "Wir sind ein käsefreundliches Land!" Dennoch sind Bezeichnungen wie "Mindestens 45 % Fett i. Tr." künftig als Stigma für Molkereiprodukte zu sehen. Selbst Leichtkäse mit nur 10 Prozent Fett sind in der Türkei künftig nicht mehr erhältlich. Türkische Käseliebhaber, von jeher eine Minderheit im Land, sehen sich nun diskriminiert. Eine breite Front an Splittergruppen, darunter die Emmentaler Schmelzbuben, die Girenbader Chöpflis und auch die radikalen Appenzellerianer, machen mobil gegen den Entscheid und fordern eine sofortige Annullierung.
Derweil scheint das Mindestfettverbot nur ein erster Schritt zur Extremisierung der Bevölkerung gewesen zu sein. Im ganzen Land häufen sich Attacken auf Schweizer Einrichtungen. Aus Supermärkten wird die bisher noch nicht verbotene Schweizer Schokolade palettenweise entwendet, nur um daraus gigantische Schokobomben zu bauen, die auf Konsulate gefeuert werden. Auch Käsefreunde selbst werden immer häufiger Opfer von Übergriffen auf offener Straße. Kaum haben sie sich durch ihren markanten Geruch verraten, den sie an irgendeiner dubiosen Hinterhofkäsetheke angenommen haben, werden sie von Käsegegnern beschimpft und nicht selten mit illegal geschmolzenem Raclettekäse begossen.
Trotz dieser Vorkommnisse versucht man aufseiten der EU der Entwicklung in erster Linie etwas Positives abzugewinnen: "Es ist erfreulich, dass die Türkei sich nun zum Instrument des Volksentscheids bekennt, eine bessere Form der Demokratie kann man sich gar nicht wünschen", sagte der EU-Anatolienbeauftragte Manuel de Corazón. Trotzdem sei das keine garantierte Eintrittskarte in die Europäische Union, "schließlich haben sich bisher auch demokratische Länder, wie etwa die Schweiz, noch nicht für einen Beitritt qualifiziert." Das Käsefettverbot selbst findet Corazón unter gesundheitlichen Aspekten aber eine interessante Idee, die er an den zuständigen EU-Regularienausschuss weitergeben will.
Bei den in der Schweiz lebenden Türken sorgt die Entwicklung dagegen für reichlich Unbehagen, sie fühlen sich, als ob sie zwischen den Stühlen sitzen. Gefangen im Land des Käses, trauen sie sich kaum noch, davon zu essen - aus Angst vor Verfolgung ihrer Familien zu Hause in der Türkei. Dabei können viele den Streit nicht verstehen, für sie ist Käse so essenziell geworden wie Beten. So bringt es ein anonymer Exiltürke auf den Punkt: "Die ganze Sache ist Irrsinn. Schweizer Käse ohne Fett - das ist ja beinahe so absurd wie eine Moschee ohne Minarett!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid