die wahrheit: Liberale Leber
Über Westerwelle schreiben. Ein Selbstversuch.
Der Bundeswehrskandal zieht seine Kreise. In einer Edelweiß-Kaserne im bayrischen Mittenwald wurden bizarre Rituale veranstaltet. Als Ekelmutproben mussten Soldaten dort bis zum Erbrechen Alkohol trinken und rohe Leber essen! Aber was ist das alles gegen die wahre Mutprobe? Die ganz sicher kein Bundeswehrwaschlappen bestehen würde. Nur die Härtesten der Harten, eben Journalisten und Autoren, sind widerstandsfähig genug, das durchzustehen: Schreiben über Westerwelle!
Guido Westerwelle und seine rhetorischen Exzesse. Wenn man Westerwelle allein schon lesen muss, wenn man ihn dann anschließend zitieren muss und diese Sätze auch noch selbst abtippen muss, da wären wir Autoren und Journalisten froh, wenn wir stattdessen rohe Leber essen dürften.
Ich fordere von Ihnen als Leser an dieser Stelle einen Selbstversuch. Probieren Sie mal folgenden Westerwelle-Satz abzuschreiben, ohne dass es Ihnen hochkommt: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Entschuldigung! Ich spüre diese aufsteigende Übelkeit. Ich muss kurz schnell weg! Wo ist in dieser Redaktion denn die Toilette? Bis gleich …
So! Da bin ich wieder. Musste mich kurz übergeben, denn dieser Satz ist härter als rohe Leber! Moment - noch so ein Ding. Ich versuche es noch mal, auch wenn ich schon spüre, wie meine Magensäfte rebellieren: "Die Mittelschicht in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren von zwei Dritteln auf noch gut die Hälfte der Gesellschaft geschrumpft. Damit bröckelt die Brücke zwischen Arm und Reich.
Eine Gesellschaft ohne Mitte fliegt auseinander, und der Politik fliegt sie um die Ohren." Da Westerwelle nicht sagt, dass eben die, die in der Mitte fehlen, nicht reich, sondern arm geworden sind, will irgendwas in mir heraus. Moment bitte. Geht sicher schnell. Ich weiß ja jetzt, wo die Wahrheit-Toilette ist …
So, wieder zurück. Einen Absatz von Westerwelle schreibe ich noch ab. Denn die Wahrheit arbeitet heute mal nach dem klassischen Schlussverkaufsprinzip "Alles muss raus!": "Die Hartz-IV-Diskussion trägt sozialistische Züge. Gerufen wird nach dem Staat, die Rechnung begleicht der Steuerzahler.
Es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeld zu geben, aber niemanden, der das alles erarbeitet. Empfänger sind in aller Munde, doch die, die alles bezahlen, finden kaum Beachtung." Vorsicht! Aus dem Weg! Es kommt schon wieder hoch …
Da bin ich wieder. Etwas erschöpft und deshalb nachdenklich gestimmt. Man kann die Dinge auch aus anderer Sicht sehen: Dass es eine echte Mutprobe für Guido Westerwelle ist, den Sozialstaat als sozialistisch zu "denunzieren", das Empfangen von Sozialleistungen als parasitär zu definieren und die Steuerzahler gegen Sozialhilfeempfänger aufzuhetzen.
Eine echte Mutprobe von und für Guido Westerwelle, dem andere Erfahrungen in diesem Feld komplett fehlen. Guido Westerwelle war weder bei der Bundeswehr noch hat er Zivildienst abgeleistet. Aber wahrscheinlich ist die FDP die größte Ekel-Mutprobe überhaupt.
Unabhängig davon kaufe ich mir jetzt ein mobiles Kotzkübelchen für unterwegs. Vor Westerwelle ist man ja nirgends sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe