die wahrheit: Neues vom Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses
Vor ein paar Jahren bescherte Jürgen Dollase - der Gastronomiekritiker der FAZ - dem Publikum "die zehn Gebote der Küche" und erwarb sich damit den Titel des "Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses" …
Vom Religionsstiften in der Küche hat Dollase inzwischen die Nase voll und verlegte sich ins gehobene Fach der "Allgemeinen Frankfurter Küchenphilosophie", die man weder mit der älteren noch der neueren "Frankfurter Schule" verwechseln sollte. Diese arbeiten, verkürzt gesagt, an der Demontage des Mythos im Namen von Aufklärung und Kritik. Dollase dagegen vertritt die Küchenmetaphysik einer spießbürgerlich-lokalen Postmoderne: Labskaus statt Petersfisch!
Anders als in der Bibel steht am Anfang der "endgültig revolutionären Richtung" der Küchenphilosophie nicht das Wort, sondern "die texturelle Dekonstruktion". Es geht also ums Ganze. Dollase ist der Propagandist der "revolutionären Richtung", das heißt: der Molekularköchelei. Dieser geht es nicht mehr um Qualität, Geschmack und Aroma von Speisen, sondern um Höheres: die Textur. Wird etwas wie Lauch "texturell dekonstruiert", kommt das Gemüse je nach dem als Saft, Brei oder Gelee, kalt, lauwarm oder heiß auf den Teller.
Mit dieser Revolution wird das Essen vergeistigt und der Esser geadelt, denn er erlebt jetzt angeblich "komplexere zeitliche Geschmacksverläufe oder Reihungen und die räumliche Staffelung von Aromen wie Texturen", kurz: "eine wesentlich spektralere Erlebnistiefe". Wenn es um Tiefe geht, wird der Komparativ obligatorisch - nach der Sloterdijk-Phrase: "Das Leben als eine Steigerung denken." Die "spektralere Erlebnistiefe" liegt irgendwo jenseits von Raum und Zeit, Gut und Böse sowie "konventioneller Essensaufnahme" im Sphärischen eines "kommunikativ-degustativen Prozesses".
Das Gericht auf dem Teller spricht mit dem Esser. Worüber? Und wie schafft dies das "Wasser-Gelee", das nur Textur ist und keinerlei Aroma transportiert, also in jeder Hinsicht stumm und stumpf bleibt? Kombiniert mit "Pulpo-Stückchen" wird auch "Wasser-Gelee" gesprächig und bildet sofort "einen zarten Mittelgrund". Der texturelle "Mittelgrund" ist küchenphilosophisch gesehen ein Bastard jener Gründe, mit denen Philosophen einst argumentierten.
Bei Dollase geht es aber weder ums Argumentieren noch ums Essen. Eine "Meditation über Auster mit Beef und Bries" kommt ohne Gründe aus. Beim Meditieren entdeckt der Küchenphilosoph die "Molekularstrukturen" von "Spargelbouillon mit Wodka", was wohl weniger seinen Augen als vielmehr dem Wodka zu verdanken ist.
Wo Dollase "Texturregie" führt, wird der "Safranrisotto" ultimativ "getreidig im weitesten Sinne, überzeitlich-natürlich". Nachdem Zeit und Raum küchenphilosophisch erledigt sind, kommt der Leser jetzt ins Jenseits des "Überzeitlich-Natürlichen". Aber auch hier hat der profane Esser nichts zu lachen und schon gar nichts zu essen, denn er betritt nun das Gebiet der "differenzierten texturellen und aromatischen Mechanik". Darauf versteht sich der biedersinnige Küchenphilosoph.
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