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die wahrheitDas Suppensummen

Seltsame Folklore im oberhessischen Sahlbach-Effze

Seit Mitte 1876 gehört die Berichterstattung über altdeutsche Osterbräuche oder sonst wie geartete folkloristische Handhabungen zum guten Ton.

Daher soll es hier und heute auch um einen liebenswerten und sympathischen Brauch gehen: das Sahlbacher Suppensummen.

Im oberhessischen Sahlbach-Effze, idyllisch im Niedertaunus direkt zwischen Fulda und Darmstadt liegend, gilt es nämlich seit den Fünfzigerjahren einen lustig-spannenden Essensbrauch zu bestaunen, der auf das karfreitägliche Heimkommen der Sahlbacher Bergleute zurückgeht, die in den nahegelegenen Weihern, Tümpeln und Teichen Fische für die Nachbarregionen abbauten. "Damals, nach dem Ersten Gipskrieg, das war eine wirklich harte Zeit", weiß einer der Mitbegründer und damit gleichsam Erfinder des Brauches, Fondor Cooper, zu berichten. "Wir Männer waren ja die ganze Woche lang an, im und um die Gewässer herum beschäftigt, und da hat uns der ständige Fischgeruch schon ziemlich mürbe gemacht." Und doch erinnert sich der heute 83-jährige Cooper gerne zurück an die Vorfreude auf das wochenendliche und alkoholgetränkte Heimkommen in den harmonischen Kornkreis der Familie: "Wir waren meist schon ganz aufgeregt, was es denn wohl wieder Feines zu essen geben würde. Eines Freitags, ich kann mich noch genau erinnern, es war der Karfreitag des Jahres 1953, da hatten sich unsere Frauen etwas ganz Besonderes für uns ausgedacht. Wir Männer waren wie immer geschlossen von der Arbeit gekommen, als sie uns alle zusammen gemeinsam am Sahlbacher Ortseingang, der damals noch komplett aus Holz war, erwarteten. Allein an diesem ganz bestimmten Glanz in ihren Augen konnten wir erkennen, dass sie uns eine Freude machen wollten."

Coopers Stimme beginnt leicht zu zittern, als er weiter erzählt: "Unsere Frauen erklärten uns dann, dass jeweils eine das Leibgericht ihres übernächsten Nachbarn auf der rechten Seite gekocht hätte, und wir Männer sollten nun raten, wer wo wohnt! Stellen Sie sich das mal vor. Die Freude war unermesslich. Dann sollten wir noch das Geräusch der jeweiligen Speise leise vor uns hinsummen. Da alle bei uns im Dorf am liebsten Suppe mit Soße gegessen haben, kam in der Abenddämmerung ein sehr schönes besinnliches Summen zustande. Ich muss gestehen", erklärt Fondor Cooper mit Tränen in den Augen, "das war einer der rührendsten Momente in meinem Leben."

Und selbst heute, bei der distanzierten Erzählung der Ereignisse, kann man sich jener Wärme, die da seinerzeit das oberhessische Dorf durchflutet haben muss, kaum entziehen.

Seit jenen Tagen ist es daher in Sahlbach-Effze gute Tradition, alljährlich am Freitag vor dem Osterfest Gleichwertiges zu vollbringen, das Lieblingsessen seines übernächsten Nachbarn zur Rechten zu kochen und dann die Männer raten zu lassen, wo sie wohnen. All das garniert mit den liebevoll sonor gesummten Geräuschen der verschiedenen Gerichte und Leckereien der Region und nicht zuletzt den glücksdurchfluteten Tränen, deren sich vor allem die Männer in diesen Momenten nicht schämen.

JÖRG SCHNEIDER

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