die wahrheit: Götzen undercover
Die Kirche des Lichts eröffnet neue Wege des Glaubens.
Die Deutschen wollen nicht mehr an einen handelsüblichen "Gott" glauben. Die katholischen und evangelischen Kirchen beklagen eine steigende Zahl an Kirchenaustritten. Neueste Statistiken belegen, dass in Deutschland durchschnittlich 400 Kirchenmitglieder pro Minute austreten. In zwei Monaten sind mehr Mitglieder aus der Kirche ausgetreten, als sich je dort angemeldet haben. Umfragen zufolge glauben die Menschen lieber an "König Fußball" (Platz eins), an "sich selbst" (Platz zwei) oder an "diese eine Frau da, aus der Castingshow" (Platz drei). Wie soll das weitergehen?
Ein Besuch bei der Freikirche des Lichts in Köln-Ossendorf wird zeigen, was sich abseits der großen Kirchen tut, dort, wo sich seit je zwielichtige Glaubenskonglomerate verschiedenster Couleur versammeln. Ein in dezenten Grüntönen gehaltenes und mit Schiefern verziertes Haus dient als Gemeindezentrum der Freikirche. Hier erwartet Ariano, der seinen bürgerlichen Namen Giorgio Nanini abgelegt hat, den Besuch. Ariano ist nicht nur Gründer, sondern auch erster und zweiter Vorsitzender der Freikirche des Lichts. Die Idee zu einer neuen Glaubensgemeinschaft kam ihm während einer Stadtrundfahrt durch Wanne-Eickel. "Wer dieses Elend sieht, der muss doch handeln. Der muss doch den Menschen wieder Hoffnung schenken!"
Jedes Wort von Ariano klingt wie der Anfang einer langen Predigt. Mit seiner quietschroten Trainingsjacke und der auffällig hohen und verdächtig schlanken Statur sieht der 40-Jährige aus wie ein schiefer Fahnenmast. Fünf Jahre liegt sein Schlüsselerlebnis nun zurück, und seitdem erfreut sich die Kirche eines regen Zuwachses an Mitgliedern. "Es müssten mittlerweile rund 20 feste Anhänger sein, aber wir rechnen mit einer Dunkelziffer von bis zu 30.000 Mitgliedern, die nur vergessen haben die Mitgliedsanträge auszufüllen", berichtet Ariano stolz und winkt dabei einer älteren Dame zu, die sich dem Eingang nähert - Elke Meier, 72 Jahre alt und Mitglied der ersten Stunde. Sie leitet heute den Gottesdienst. "Hier habe ich meine Leidenschaft zur Passion gemacht. Vorher habe ich als Gender-Beauftragte im Tagebau gearbeitet und den ganzen Tag kein Licht gesehen. Seit ich Ariano getroffen habe, ist meine Sonne aufgegangen."
Sichtlich verwirrt und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen schwankt Elke in das Gebäude. In der Luft liegt ein leichter, aber durchdringender Geruch nach Birnenschnaps. Die Mitglieder der Freikirche des Lichts haben sich drei grundlegenden Geboten verschrieben: 1. "Jeder glaubt, soviel er kann, / nur nicht seinem Nebenmann", 2. "Götter, Götzen und Proleten, / wer nicht will, der muss nicht beten", und 3. "Rockmusik wird nur in der passenden Bekleidung (Rock) zum akustischen Genuss freigegeben."
Trotz dieser leicht zu befolgenden Gebote herrscht eine strenge Kontrolle, wie Ariano salbungsvoll erklärt: "Wer nicht glaubt, fliegt raus. So einfach ist das. Wir können keine Nihilisten leiden." Doch was nach einer gemütlichen und weltoffenen Kirche für Andersdenkende aussieht, könnte eine dunkle Seite haben. Kirchenkritiker Stanislav Vladiski beschäftigt sich seit Jahren mit der Freikirche des Lichts. Der Sektenforscher auf Lebenszeit will Beunruhigendes herausgefunden haben: "Das ist eine Sekte. Ganz klar. Sie sollten mal sehen, wie so ein Gottesdienst abläuft. Die singen, sitzen andächtig bei der Predigt und treffen sich einmal die Woche sonntags. Das ist nicht normal!"
Vladiski hat ein Jahr undercover als Mitglied die Freikirche erforscht und wurde ausgerechnet von Investigativkünstler Günter Wallraff enttarnt, der dort ebenfalls Missstände aufdecken wollte und sich in seinen Vermarktungsrechten gefährdet sah. Auf die Vorwürfe Vladiskis angesprochen, zuckt Ariano nur müde mit den Schultern. "Wissen Sie, ich dachte, die Zeit Andersdenkende zu diskriminieren, wäre seit der Inquisition vorbei. Aber ich werde immer wieder eines anderen belehrt. Doch wir machen weiter, und sobald wir das 50. Mitglied begrüßen, gehen wir nach Übersee. Nach Amerika, se land of se free! Dort sind alle willkommen!" Unermüdlich kämpft dieser Fahnenmast von einem Mann für seinen Glauben.
In diesem Moment kommt Elke Meier aus der Kirchentür gestolpert, murmelt etwas von schlechtem Messwein und übergibt sich hinter ein parkendes Auto. Diese Kirche mag vielleicht anders sein, aber solange der Verfassungsschutz sie nicht verbietet, sollte sie wenigstens toleriert werden.
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