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die wahrheitAngeln, glotzen, kniffeln

Nordrhein-Westfalen: Die Landespolitik entdeckt das süße Nichtstun. Keine große Koalition, keine Ampel, kein Rot-Rot-Grün und kein Jamaika, keine Minderheitsregierung, kein Nix.

Früher ein Ort des unerquicklichen Politisierens, wird der Düsseldorfer Landtag künftig sinnvoll genutzt. Bild: ap

Nach einem historischen Sondierungsmarathon scheint die SPD in Nordrhein-Westfalen völlig den Überblick verloren zu haben und fantasiert nun von einer Regierung aus der Opposition heraus. Das klingt so absurd, dass dahinter etwas stecken muss: Die viel beschworene Politikverdrossenheit ist nun auch bei Deutschlands Politikern angelangt – zumindest in Nordrhein-Westfalen.

Mit beherztem Gähnen begrüßt der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen SPD, Michael Groschek, am Mittag die Pressevertreter. "Sorry, bin ein bisschen spät dran. Hab heute mal schön ausgeschlafen! Ich muss auch gleich wieder los – Fahrradtour die Ruhr entlang. Mit meinen Jungs. Herrlich! Sollten sie auch mal machen."

Was die Öffentlichkeit irritiert, andere Landes- und Bundespolitiker verstört, ist innerhalb von wenigen Stunden übergreifende Realität im ganzen Bundesland. Die Politiker entdecken den Müßiggang. Nach jahrelanger Plackerei auf politischem Parkett haben sie keine Lust mehr. Die endlosen Streitereien und Diskussionen mit den übrigen Parteien, das Regieren, Sondieren und Koalieren – es ist Zeit einen Schlussstrich zu ziehen, sich wieder den Sonnenseiten des Lebens zu widmen.

Hannelore Kraft schlurft entspannt im grünen Trainingsanzug aus Ballonseide heran. Wie es nun in Nordrhein-Westfalen weitergehe, fragt ein junger Mann vom Kommerzfernsehen. "Ich halte mich da erst mal an Sie!", entgegnet Kraft und fügt, als der Fragesteller irritiert schaut, hinzu: "Fernsehen! Den ganzen lieben, langen Tag in die Glotze kucken, bis die Augen viereckig sind! Frauentausch, Mädchenkauf, Deutschlands Jugend im Vollrausch und wie die Sendungen alle heißen. Ich beweg mich die nächsten Tage nicht mehr von der Couch."

Selbst Jürgen Rüttgers, der noch wochenlang als Kapitän eines untergehenden Regierungsschiffs ohne Steuer und Ruder krampfhaft an der Macht festhielt, hat das süße Nichtstun für sich entdeckt. "Ich dachte jahrelang, ich wäre ein Machtmensch. Jetzt habe ich mal einen Tag gar nichts gemacht und festgestellt, ich kann auch ein Macht-gar-nix-Mensch sein! Nachts bis Elfe mit meiner Angelika kniffeln, und kein schlechtes Gewissen!" Rüttgers sonst so harte und kantige Gesichtszüge haben sich entspannt und wirken wie frisch geschmolzener Butterschmand. So hat die Bevölkerung an Rhein und Ruhr den Ministerpräsidenten a. D. noch nicht gesehen.

Doch bei aller kollektiven Entspannung in NRW hagelt es scharfe Kritik aus Berlin. Gut informierten Kreisen zufolge hat Angela Merkel einen zweiminütigen Wutausbruch bekommen und Rüttgers persönlich für diese "Aufweichung politischer Strukturen" verantwortlich gemacht. Außenminister Westerwelle soll bei einem Anruf des nordrhein-westfälischen Innovationsministers Andreas Pinkwart in Tränen ausgebrochen sein.

Pinkwart verkündete, die NRW-FDP würde sich ab sofort abspalten und zur FPD, der Freizeit Partei Deutschland werden. Er selbst stehe für keine weiteren Ein- und Ausfälle jeglicher Art zur Verfügung und wolle endlich das Geheimnis von Rubiks Zauberwürfel lüften. Und vorher werde er ausgiebig Angeln gehen.

Während Parteienforscher in ganz Deutschland verzweifelt versuchen, die Konsequenzen dieser politischen Totalverweigerung der politischen Klasse in Nordrhein-Westfalen für die Zukunft abzuschätzen, stellt man sich dort ganz praktische Fragen: Wie sollen nun der Landtag, die Parteizentralen und alle die freigewordenen Räumlichkeiten genutzt werden?

Rüttgers, durch seine neuen nächtlichen Kniffelexzesse leicht übermüdet, hat schon einen Vorschlag: Der Düsseldorfer Landtag direkt am Rheinufer könne für die gesamte Bevölkerung geöffnet und zu einem Schwimmbad umfunktioniert werden. Dann könne, so Rüttgers begeistert, "das ganze Land den Bach runtergehen".

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