die wahrheit: Die Balz der Bohrer
Frühmorgens in Deutschland: Beobachtungen eines Apparatologen.
Seit einigen Wochen kann man jeden Morgen aufs Neue dieses wunderbare Schauspiel der Natur beobachten, vor allem aber hören – die Balz der Bohrhämmer. Manchmal schweigt diese versteckte Spezies wochenlang, aber nun sind viele Hinterhöfe wieder bevölkert mit diesen schnarrenden, knarrenden Gesellen, die sich schon früh am Morgen zu Gehör bringen.
Es ist 7.05 Uhr, wenn die Hilti erwacht. Die Hiltis sind scheue Wesen. Selbst wenn man ihren Ruf vernimmt, man sieht sie selten. Sie leben meist in Höhlen, mindestens tagsüber sind sie oft in beziehungsweise aus sogenannten Wohnungen zu hören. Viele sind regelrechte "Ortswechsler". Sie leben ortsungebunden und legen oft große Strecken zurück, um neues Gestein und Mineralien zu finden, andere sind manchmal wochenlang regelrecht ortstreu. Man sieht sie fast nie außerhalb von Wohnungen, aber sie arbeiten stets bei geöffnetem Fenster.
Da! Eine seltene Metabo antwortet. Erst noch verhalten, dann in einem sich steigernden Crescendo ruft auch sie durch den Hinterhof. Sie spielen miteinander. Frage und Antwort. Spricht die eine, schweigt die andere und umgekehrt. Mal fällt die eine der anderen in den Lärm. Mal freuen sie sich an ihrem emsigen Auf und Ab, am Echo der eigenen Stimmen in der Häuserwänden. Und sie können sich ihrer Zuhörer sicher sein.
Die Hilti und die Metabo gehören zur Familie der Bohrer. Sie suchen in Wänden, ja selbst im härtesten Stein und Fels nach Nahrung. Mit ihrer Spitze, der sogenannten Bohre, bohren sie sich in alles Gestein und Mineral, egal ob frisch gemauert oder seit dem Kambrium erstarrt.
Inzwischen klongt und klingt draußen auch der Chor der Gerüststangen, die leicht, regelrecht libellenhaft, die Fassade gegenüber emporklettern. Die Hilti und die Metabo singen nun schon fast eine halbe Stunde. Lustig schallt ihr Knarrgesang herüber und weckt auch die anderen Wesen, die Hämmer und die Meißel, die mit verhaltenen Rufen antworten. Ganz selten dagegen ist es, die leise Spachtel zu hören, die stille Kelle und den faltigen Zollstock, der zwischen 24 Zentimeter und beachtlichen 2 Meter lang werden kann.
Wenn sie noch jung sind, noch nicht flügge geworden, bevor die Hiltis und Metabos ihr erstes Loch je gebohrt haben, wohnen viele am Hornbach.
Es ist 7.30 Uhr, und plötzlich, ganz nah, aus dem Nachbarhaus, Zimmerwand an Zimmerwand, für den interessierten und aufgeweckten Hobby-Apparatologen optimal zu hören, erdröhnt der energische Ruf des Bosch. Der Bosch gehört zur Spezies der Schlagbohrer, und man spürt, wie erregt er dem Balzgesang der Hilti und der Metabo antwortet.
Und wieder schweigen für einen Moment alle drei. Sie haben etwas gehört. Ein kurzes Brummen. Ein Rütteln. Da setzt es ein, mit urgewaltiger Kraft. Ein Vierter hat den Hinterhof betreten und macht den dreien lauthals Konkurrenz. Der heftige, stoßweise Balzlaut des Blackunddecker.
Wie bei Auerhahn und Birkhuhn werben ab jetzt die beiden Männchen, der Bosch und der Blackunddecker, um die Hilti und die Metabo. Es ist ein Kampf der Giganten. Als würden Mufflonmännchen in den steilen Bergen des Kaukasus ihre mächtigen Geweihe gegeneinander stoßen, so rütteln nun der Bosch und der Blackunddecker im unermüdlichen Rotieren ihres Bohrkopfs an den Wänden des Hinterhofs.
Sie sind Tagaktive und schlafen bis zu 16 Stunden täglich. Des Nachts liegen die Hiltis und die Metabos, die Blackunddeckers und die Boschs unvorstellbar still in ihren Nestern, die an kleine Koffer erinnern. Von 7 bis 17 Uhr aber sind ihre aktivsten Zeiten. Jetzt ist es neun, und die Hilti, die Metabo, der Bosch und der Blackunddecker machen überraschend eine halbe Stunde Pause.
In genau diesen aufrüttelnden Moment der Stille meldet sich der gewaltige Glock. Er wohnt im Kirchturm, und er schlägt neunmal. Wäre ich die Hilti, ich würde Glock wählen. Die Kinder dieser Vereinigung wären hochmusikalische Bohrhämmer mit Glockenklang.
9.30 Uhr. Der Bosch ruft nach den Weibchen. Die Hilti anwortet dem lockenden Ruf. Die Pause ist vorbei.
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