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die wahrheitDas Neueste vom Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses

Seit ein paar Jahren beschert der Gastronomiekritiker der FAZ, Jürgen Dollase, dem Publikum jeden Samstag Einsichten in die Gebote der "avantgardistischen" Küche...

... Er erwarb sich damit bei den Freunden der Wahrheit und des Essens den Titel des "Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses" (FAK). Neuerdings geht es Dollase nicht mehr nur um eine von chauvinistischen Ressentiments getragene Franzosenschelte und um die Bissfestigkeit ("Textur"), auch nicht um Temperatur und Aggregatszustand von Gerichten, sondern um deren Komposition und Benennung. "Das erweiterte kulinarische Programm" setzt auf poetische Namen wie "Champignonwiese", "Herbstlandschaft" oder "schmelzender Schnee": weißer Schaum auf dem Teller, der schmilzt und "langsam eine Landschaft" freigibt, die an "Schneeschmelze, quasi im Zeitraffer" erinnert.

Um "Produkte im engeren Sinne" kümmert sich der famose FAK längst nicht mehr, sondern um "eng ans Kulinarische gekoppelte Assoziationen". Dafür taugen Erinnerungen an "kindlich-kulinarische Entdeckungsreisen", als man mit dem "Großvater" Schnecken, Kräuter oder Pilze sammelte und Wälder durchstreifte.

Der Avantgarde-Koch entwickelt aus solchen Assoziationen die "Konzeptküche". Hier funktioniert alles wie in der Kunst: mal abstrakt wie ein komplett weißes Dessert namens "Pur White", mal handfest, aber immer alles überbietend wie zum Beispiel ein "Bretonisches Salzwiesenlamm aus der Bucht des Mont Saint-Michel, Salicorne, Sandmöhren, Charlotte-Kartoffeln als Grenaille, lokaler Knoblauch und Zwiebeln."

Um "Reh im Buchenwald" zu kochen, benötigt Dollase aus dem "kulinarischen Biotop" Wald: "Buchenholz, junge Buchentriebe, Kräuter und Pflanzen, Krusten aus Waldboden zur Aromatisierung, Blüten und ihre Essenzen, Pilze in allen Aggregatszuständen, Bucheckern in vielen Verwendungen" - aber auch Laub und Kompost zur Erzeugung von Waldgeruch. "Die Liste kann mit einiger Phantasie und Konsequenz sehr groß und ein echter Fundus an kreativen Ausdrucksmöglichkeiten werden." Dann wird das waldnahe Essen erst zum "großen Mundkino" und zu einer "Essenz aus Jahreszeit und Region".

Bei "Wildschwein im Eichenwald" kommen als Zutaten nicht nur Eicheln und Eichenholz infrage, sondern auch Wildschweinurin zum Marinieren des Wildschweinrückens und zum Aromatisieren gemahlene Zähne aus dem Oberkiefer von Allgäuer Frischlingen sowie mit jungem Eichenholz geräucherte Borsten vom alten Keiler aus dem Odenwald.

Die "Konzeptküche" kombiniert das Kulinarische mit dem Psychologischen. Es geht nicht um kulinarischen Genuss, sondern darum, "tiefer in die intensive Beziehung des Menschen zum Essen, in seine bewussten oder unbewussten Assoziationen" vorzudringen und "die rein kulinarische Ebene substantiell um eine assoziativ-psychische" zu ergänzen. In der Küchenpsychologie des Frankfurter Allgemeinen Küchenmoses führt der Weg durchs Schleimige ins Fromme - wie in der Religion.

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2 Kommentare

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  • JD
    Jott Dee

    Herr Dollase erlöst uns jeden Samstag von der Materialität des Essens (also des Tun-Worts) und dafür sollten wir dankbar sein; deswegen machen seine Artikel auch nicht dick, selbst wenn man mehrere hintereinander liest! Seine Schriftstücke sind längst in eine Sphäre jenseits von Sprache eingetaucht und deswegen weder durch Artikel, Satiren oder diesen Kommentar zu erden - es handelt sich definitiv um KUNST!

  • N
    Naskolnikov

    Das FAK-Syndrom – denn offensichtlich handelt es sich nicht um eine Berufsbezeichnung, sondern eine Diagnose – verdient eine Aufnahme in den ICD-10, der bisher in diese Richtung nichts hergibt, allenfalls ›F69, nicht näher bezeichnete Persönlichkeits- und Verhaltensstörung‹.

    Aber es ist leicht, sich über aberrantes Verhalten erfolgloser Kunstakademie-Absolventen zu äußern, wenn man den Balken im eigenen Auge nicht bemerkt: zum Frühstück hatte ich Symphonie von dreierlei Schmelzkäseecken an Tricolore von verschiedenfarbig gealtertem Graubrot, nappiert mit abgelagertem Schmalz vom Siebeck. Bin ich jetzt auch krank?