die wahrheit: Job mit Bart
Noch 95 Tage bis Weihnachten für den Weihnachtsmann.
Ich komme gerade zurück aus dem Urlaub. Ich habe eine tolle Zeit gehabt. Monatelang frei. Ich hätte nie gedacht, wie gut der Job ist. Sicher, es gibt auch harte Zeiten. Aber die eigentliche Saison ist wirklich kurz. Ein erster Einsatz am 6. Dezember, und dann eben die Tage rund um Weihnachten. Sogar mit dem ganzen Umtausch hast du im Grunde nichts zu tun.
Ich hatte es in verschiedenen Jobs versucht, aber so richtig gefiel mir nichts, und ich gefiel auch keinem meiner Chefs so richtig. Lehre, Abi, Studium abgebrochen. Damit kommt man heute nicht sehr weit. Man hat da auch wenig Autorität im Betrieb, selbst wenn der Boss ein großer Blödmann ist. Immer wieder hörte ich. "Wenn Sie keinen Bock haben, dann gehen Sie doch als Weihnachtsmann. Da haben Sie die meiste Zeit des Jahres Ruhe." Ich hätte nie gedacht, wie viel Wahrheit in diesen Zeilen liegt.
Dann aber las ich die Anzeige: "Weihnachtsmann gesucht! Festeinstellung. Bewerbungen bitte per Mail an www.snowandgo.de". Ich schrieb damals eine Bewerbung. Nur so aus Dulle. Weil ich manchmal Texte schrieb. Gedichte. Nur für mich. Nie für eine Öffentlichkeit. Höchstens mal für romantische Stimmungen mit irgendeiner Junglehrerin. Und dann bekam ich den Job! Ich war echt von den Socken. Geglaubt habe ich das alles erst, als ich die erste Lohnüberweisung nicht nur auf dem Konto sah, sondern tatsächlich abgehoben habe. Jetzt bin ich seit acht Jahren dabei. Acht Jahre Weihnachtsmann.
Als ich dem Boss das erste Mal gegenüberstand, dachte ich nur: "Das ist Gott?" Er nickte. Er wirkte eher wie Gerhard Schröder und ich hatte das Gefühl, er würde sich die Haare färben. Er nickte. War das seine Antwort, dachte ich. Er nickte. Konnte er Gedanken lesen? Er nickte schon wieder.
Was mich am meisten erstaunte, er war rasiert. Kein Vollbart. Ich roch ein Aftershave, aber ich könnte nie die Marke erschnüffeln. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, und er hatte einen Apple vor sich stehen. Als ich den sah, musste ich lachen. "Machen Sie alle Moden mit?", fragte ich. "Wir kreieren sie", sagte er kühl. "Und warum hat Steve Jobs den Job bei Apple und nicht ich?" - "Das wollen Sie nicht wissen." - "So leicht bin ich auch nicht zu deprimieren!", revanchierte ich mich. "Sie sind interessiert?", kürzte er ab. "Sagen wir es so, ich bin frei." - "Ich weiß!" - "Wenn Sie sowieso alles über mich wissen, warum musste ich mich dann noch bewerben?" - "Ach, ihr Menschen habt da dies Ding mit dem freien Willen entwickelt." - "Der ist also nicht von Ihnen?" - "Und ich möchte mich manchmal auch mal nur gut unterhalten." - "Soll das jetzt ein Kompliment sein nach der Sache gerade mit Steve Jobs?", fragte ich. "Nicht so voreilig! Machen Sie sich kein falsches Bild. Der Job ist einerseits leichter geworden, anderseits aber auch härter als er je war."
Um es kurz zu machen, und auch wenn es niemand glaubt: Es gibt den Weihnachtsmann. Aber es gibt nicht nur einen, es gibt viele. Und ich bin einer von ihnen. Das kann man sich vorstellen wie bei der studentischen Jobvermittlung, wo auch jedes Jahr ein paar Dutzend diesen Job in jeder Stadt machen. Wir sind aber nur da im Einsatz, wo wirklich noch die Familie an den Weihnachtsmann glaubt. Und das sind heute wirklich wenige. Die meisten besorgen die Geschenke selber. Da müssen wir dann gar nicht mehr hin. Aber für die paar, die noch dran glauben, da will der Boss besten Service. Und da wird es, ehrlich gesagt, auch interessant. Wir verwalten einen Etat, also jeder seinen eigenen. Das klingt jetzt bescheuert. Ich habe ihm das auch gesagt: "Da erschaffen Sie alles, Regeln, Philosophien, Wirtschaftsformen, und sind die letzte unabhängige Instanz auf Erden …" Er zog eine Augenbraue hoch. "Ja, von mir aus auch noch woanders!" Er nickte zufrieden. "Aber warum müssen wir den gleichen Quatsch dann auch mitmachen?" - "Weil es mir gefällt. Weil ich der Boss bin! Und weil ich beweisen will, dass es gut laufen kann und nicht so scheiße laufen muss wie auf der Erde!", brauste er auf.
Und so bin ich top ausgestattet: eigener Etat, eigene Region (Frankfurt hoch bis Nordhessen, Ostwestfalen/Sauerland/Ruhrgebiet), Dienstfahrzeug, iMac, Handy und direkte Leitung nach oben.
Vor zwei Wochen jedenfalls meldete sich mein Handy, meine Datenverwaltung: "Erinnerung: Bart wachsen lassen." Diese fast vier Monate bis Weihnachten brauche ich einfach für einen einigermaßen anständigen Vollbart. Und nächste Woche wird es ganz hart. Er hat uns eingeladen. Motivationsseminar! Immer im September.
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