die wahrheit: Eulen nach Argentinien tragen
Passend zum Beginn der Buchmesse initiierte ich ein Wortgefecht. Ob wir denn, fragte ich in die Runde, ob wir...
... einige unserer Erlebnisse im Verlagswesen austauschen sollten. Genauer gesagt schwebe mir das Fragment einer Erzählung vor, Reminiszenzen an eine kleine Sittengeschichte mit einem Verlag, deren Ursprung bald zwei Dekaden zurückliegt.
Hallo? Hörte niemand zu? Kunststück. In dem abendlichen Forum saß ich eulen, um mit Ernst Jandl zu reden, mithin allein. Die fleißigeren, umtriebigen Kollegen hatten längst den Ausflug nach Frankfurt angetreten.
Da ich wiederum Kalauer offenkundig mag, stupste in meinen vielstimmigen Monolog zunächst eine dumpfe Anspielung auf einen Schlagertitel: "Lieber gemein allein als gemeinsam einsam." Und statt zu einer dreidimensionalen brach ich zu einer Zeitreise auf.
Denn angesichts der gewichtigen Debatten um die Elektrifizierung des Buches, um das Urheber- und Verwertungsrecht und den Wandel, der viele Verlage durchschüttelt, das Ungewisse ins Monströse aufbläht, hielt ich es für angebracht, die profane Tatsache in Erinnerung zu rufen, dass Autoren und Verleger oftmals keineswegs am selben Strang ziehen, wie diese es zuweilen suggerieren.
Gewiss, eine spektakuläre Erkenntnis. Das Gerangel infolge der allumfassenden Digitalisierung verwischt die Linien hier oder dort allerdings, scheint mir.
Nun klaubte ich einen Bildband aus unvordenklichen Tagen, wofür Freund Quax und ich launige Begleittexte verfasst hatten. Unter dem Titel "Schönes Niedersachsen" erschien das schmale Buch 1993.
Nach wie vor ist es erhältlich, inzwischen in der sechsten oder siebten Auflage. Dazumal hatten wir dank idealistischer Raffinesse einen Vertrag über ein Pauschalhonorar in Höhe von 2.000 Mark unterzeichnet, aus Gründen, deren Erläuterung hier einschläfernd wirken dürfte.
Zweifellos handelte es sich um ein üppiges, geradewegs irrwitzig hohes Salär für die paar Zeilen. Dennoch, als ich im Jahre 2005 die letzten Groschen meines Anteils verprasst hatte, frug ich beim Verleger nach, ob nicht, dem Vertrag zum Trotz, Fairness gebiete, an die Autoren ein Scherflein des mutmaßlichen Mehrgewinns zu entrichten.
Die Antwort eröffnete der Herr mit einem "ganz herzlichen Dank" für mein Schreiben, um bald danach verbindlicher zu werden: "Allerdings möchten wir, was Sie ja auch in ihrem Brief betonen, auf die vertragliche Lage hinweisen, die durchaus den branchenüblichen Konditionen entspricht."
Daran schloss sich ein Wust von Möglichkeitsformen: "Allenfalls könnten wir uns darüber verständigen, dass Sie bei einer eventuellen weiteren Auflage für eine eventuell notwendige Aktualisierung … ihres Textes ein weiteres Honorar erhalten."
Wenn ich mich recht entsinne, habe ich ungeachtet meiner immensen Geldgier daraufhin geschwiegen. Stattdessen fliege ich womöglich doch nach Frankfurt, um an dem branchenüblichen Konditionstraining teilzunehmen. Oder gleich nach Argentinien.
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