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die wahrheitAllein gegen die Haarmafia

Kürzlich sprach mich ein Bekannter an, den ich länger nicht gesehen hatte: "Bei dir werden es ja immer mehr Haare." Er sagte das mit dem spitzen Unterton der ...

... Verbitterung, sodass es unangebracht gewesen wäre, zu fragen, wie es denn unter seiner Schirmmütze aussehe. "Da könnte man ja eine Perücke draus machen und es wäre immer noch mehr als genug übrig für eine Frisur", scherzte er. Jetzt lachten wir beide. Wir plauderten noch kurz, dann kam die Straßenbahn. Ich blieb zurück.

Sein Perückenspruch ging mir nicht mehr aus dem Sinn: Sind Perücken nicht sehr teuer? Für den Rohstoff muss es doch Geld geben? Ich hatte mal von einem gelesen, der sich sein Studium mit Samenspenden finanziert hatte. Vielleicht könnte ich ja mit meinem nachwachsenden Rohstoff tatsächlich Geld verdienen. Ich zog also los, um mein Glück zu versuchen.

Der Herr im Zweitfrisurenladen um die Ecke lächelte höflich, als ich ihm mein volles, schulterlanges Haar anbot, und klärte mich dann auf, dass sie nur Kunsthaar verarbeiteten. Also gab ich im Internet den Suchbegriff "Echthaarperücken" ein. Ich fand drei Unternehmen und bot mein erstklassiges "Echthaar aus der Region" an, dunkelbraun mit Clooney-Effekt.

Gaby B. von Firma X antwortete gar nicht. Candy K. vom Unternehmen Y mailte zurück: "??????". Einzig Harry A. von Firma Z schrieb mir: "Vielen Dank für Ihr Angebot an uns, aber leider verarbeiten wir selber keine Haare. Unsere Perücken bekommen wir aus Fernost fertig geliefert." Fernost also. Als ob es hier keine Haare gäbe. Die CO2-Bilanz dieser Perücken würde ich gern mal sehen. Das haben wir sicher der Perückenlobby zu verdanken, wenn nicht der internationalen Haarmafia!

Aber für mich stand fest: Mit meinen Haaren würde etwas Außergewöhnliches passieren. Sie würden nicht in einem x-beliebigen Friseursalon zusammengekehrt und weggeworfen werden. Während eines Bogenbau-Wochenendes erfuhr ich, dass Germanen und Kelten die Sehnen ihrer Bogen aus Menschenhaar gedreht hatten. Ich bot gleich mein Haar an, aber selbst die Ultra-Retro-Bogenfreaks schwören heute auf Kunstsehne.

Wieder zu Hause griff ich zum Langhaarschneider. Kurz darauf vergrub ich meine Hände in den Haaren, die sich auf dem Boden türmten. Diese Locken würden auf große Reise gehen! Ich schickte das Paket an die Nasa mit der Bitte, es bei der nächsten Expedition ins Weltall einzupacken und in den Schoß des Kosmos zu streuen. War mehr so als Spaß gedacht.

Als Antwort erhielt ich einen Bußgeldbescheid über 180.000 Euro, weil mein Päckchen angeblich das Sicherheitssystem der Weltraumbasis aktiviert hatte und der Start der Discovery verschoben werden musste. Im Unterschied zu meinem Anschreiben war dieser Brief ernst gemeint.

Ich habe jetzt doch mal Kontakt zu zwei Samenbanken in der Region aufgenommen. Sollte ich die Aufnahmetests für Spender bestehen, könnte ich in rund fünfzig Jahren aus dem Gröbsten raus sein - wenn nicht auch beim Samen der Trend zu Produkten aus Fernost geht.

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