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die wahrheitEwig heult der Leitwolf

Journalismus: Die tollkühnen Weisheiten deutscher Leitartikler.

Vorschnelle Urteile, gefällt in warmen Redaktionsstuben und weichen Parlamentssitzen, helfen nicht weiter." Das hat neulich die Hessische/Niedersächsische Allgemeine in einem Kommentar geschrieben - und damit unabsichtlich das Dilemma des Leitartiklers umrissen. Er muss nämlich Tag für Tag in wenigen Stunden, bedrängt vom Redaktionsschluss und zugleich verloren in der Weite des zu füllenden redaktionellen Raums, zu einem - durchaus vorschnellen - Urteil kommen.

Zudem hat der Leitartikler immer gut zu tun, denn: "Es gibt noch viele Diktaturen auf der Welt" (Hamburger Abendblatt) und "dagegen hilft nur radikale Transparenz" (Tagesspiegel). Auch wenn "alle Hieb- und Stichwaffen bei allzu heftigem und unkontrolliertem Gebrauch schnell abstumpfen" (Nordkurier), lässt sich der Leitartikler nicht entmutigen. Unentwegt fertigt er seine formschönen Binsenweisheiten, lässt sich auch nicht aufhalten von der Warnung, dass es "von der Kühnheit zur Tollkühnheit oft nur ein kleiner Schritt ist" (Münchner Merkur). Die Wahrheit präsentiert einige besonders elegante Redundanzen, gesammelt seit Jahresbeginn und alphabetisch abgeheftet:

A "Amerikas Seele ist vergiftet." (Ostsee-Zeitung)

B "Die dicken Brocken bleiben liegen." (Der neue Tag)

D "Der Druck im Kessel ist hoch." (Schweriner Volkszeitung)

E "Am Ende ist alles Verhandlungsmasse." (General-Anzeiger Bonn)

F "Frauen sind vielerorts die Säulen des Gemeindelebens." (Westfälische Rundschau)

G "Die Geschichte ist ungerecht." (Neue Osnabrücker Zeitung)

H "Mit Hysterie kommt man nicht weiter." (Neues Deutschland)

I "Irgendwann reißt jedem mal der Geduldsfaden." (junge Welt)

J "Auch in den nächsten Jahrzehnten nimmt der Straßenverkehr eher zu als ab." (Badische Neueste Nachrichten)

K "Über Kunst darf man streiten." (Neue Osnabrücker Zeitung)

L "Das Land braucht Veränderungen." (Sächsische Zeitung)

M "Wer am Steuer sitzt, hat viel Macht." (Südwest Presse)

N "Unglücke können niemals ganz ausgeschlossen werden." (Badische Neueste Nachrichten)

O "Offenheit hilft, Vertrauen aufzubauen und zu bewahren." (Der neue Tag)

P "Pessimismus ist der Tod der Wirtschaft." (Südkurier)

Q "Was Quote macht, wird gezeigt." (Westfalen-Blatt)

R "Rauchen schadet und tötet im Extremfall." (Rheinische Post)

S "Der Staat muss nicht immer alles regeln." (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)

T "Träumen ist das eine, die Realität das andere." (Leipziger Volkszeitung)

U "Unglücksfälle werden sich nie vermeiden lassen." (Landeszeitung, Lüneburg)

V "Viren sind grundsätzlich gefährlich." (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)

W "Starke Worte ohne starke Taten bringen nichts." (Trierischer Volksfreund)

Z "Die Sieben ist von alters her eine magische Zahl." (Neue Osnabrücker Zeitung)

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