die wahrheit: Das Geweih Gottes
Stolz drehte er sich hin und her und betrachtete mal über die linke, mal über die rechte Schulter seinen nackten Rücken in dem mannhohen Schlafzimmerspiegel...
...Der Hintern hing leider schlaff herab, aber darauf würde künftig keiner mehr sehen. Wie er selbst jetzt würde jeder die feine Zeichnung bewundern, die sich quer über seinen Steiß zog. Frisch leuchteten feuerrot und himmelblau die Farben, und die zarten Verästelungen des Musters erinnerten ihn an die schmiedeeisernen Umgrenzungen der Kirchenfenster in Augsburg. Ach, Augsburg … Fast wollte ihm weh ums Herz werden, aber dann besann er sich. Augsburg - das ist vorbei, bye, bye, Junimond, summte Walter Mixa eine leichte Melodie.
All seinen Mut hatte der Altbischof zusammengenommen. Damit er unerkannt blieb, hatte er den Kirchenrock abgelegt und sich in Räuberzivil geworfen: einen Adidas-Trainingsanzug und eine Basecap. So ausgerüstet war der Gottesmann mit dem Zug nach München gefahren. Doch schon am Bahnhof der bayerischen Landeshauptstadt hatte ihn sein Mut wieder verlassen, und er spazierte zur Beruhigung der Nerven erst einmal in den Englischen Garten. Zum Glück hatte er sich vorher als Proviant eine Butterbemme und eine Flasche Chianti in eine Plastiktüte gepackt. Der Weinhändler hatte ihm wieder kostenlos ein paar Kisten vorbeigebracht. Dafür hatte er dem hartnäckigen Kerl abermals versprechen müssen, dass er beim Jüngsten Gericht zur Rechten des Herrn Platz nehmen dürfe, der Depp!
Nachdem Mixa die Weinflasche geleert hatte, fühlte er die alte Tapferkeit und steuerte erneut das Bahnhofsviertel an. Und endlich fand er, was er gesucht hatte. Der Tätowierer in dem kleinen Laden hatte zwar schon einiges gesehen, aber der Wunsch des älteren Herrn war absonderlich. "Das ist doch eher was für Uschis", meinte Mike The Hike, wie er sich selbst nannte. Uschis? Uschi Glas kannte er, dachte Mixa, doch die war wohl nicht gemeint. Unbedingt ein "Lexikon der Jugendsprache" bestellen, notierte sich Mixa in Gedanken. Dabei hatte er durchaus einige Jugendbegriffe im Repertoire: "Die Zeichnung ist knorke", beharrte Mixa, auch wenn der Tätowierer ihn ansah wie ein Mondkalb. Das Bündel Scheine überzeugte den Nadelkünstler schließlich, und so bugsierte er den Weißhaarigen mit freiem Oberkörper auf die Pritsche.
Zu Hause rieb sich Mixa jetzt den leicht entzündeten Rücken. Die Schmerzen waren aber erträglich, und hatte nicht auch Christus seine Leiden voller Inbrunst ertragen? Hatte man den Erlöser nicht am Kreuz mit einer Lanze gestochen wie ihn, Walter Mixa, seinen treuesten Anhänger, mit der Nadel? Mixa seufzte.
Beinahe wäre er hier in der Provinz versauert, in diesem schwäbischen Kaff, in dem er untergekommen war. Wie tot das schon klang: Villa Barbara in Gunzenheim bei Kaisheim. Dabei wollte er doch immer nur dem Leben, der Jugend nahe sein. Und hätte er nicht am Kiosk dieses anregende Schulhofmagazin gefunden, er wäre wohl hier verschimmelt. Diese wundervolle Bravo. So viele feste Körper hatte er nicht mehr gesehen, seit damals der neue Vikar … Und dieser Dr. Sommer war offenbar ein honoriger Mann, der den Jungspunden ihre Flausen ausredete. "Bin ich zu jung für ein Arschgeweih?", wurde dauernd gefragt, und Mixa schätzte Dr. Sommers besonnene Antworten. Den würde er gern mal treffen. Nein, er, Mixa, war nicht zu jung, im Gegenteil, er würde alles tun, um heranzukommen an diese herrlich unfertigen, jungen Menschen. Er würde ihnen zeigen: Ich bin einer von euch!
Mixa blickte auf das Foto, das über der Anrichte hing und diesen verdammten Benedikt XVI. zeigte. "Porca miseria, il papa!", hob Mixa den erigierten Mittelfinger wider seinen größten Feind. So würde er es die jungen Schäfchen lehren, wenn er am 25. April 2011, am Ostermontag, auf seiner neuen Internetseite www.bischof-mixa.de wieder öffentlich in Erscheinung trat - einen Tag nach der Auferstehung des Herrn. Er wolle sich wieder stärker in der Kirchenarbeit engagieren und vor allem junge Menschen ansprechen und für den Glauben gewinnen, hatte er den Schafsköpfen vom Donaukurier in die Stifte diktiert, die den Quatsch auch gleich treuherzig verbreiteten.
Der Altbischof lehnte sich zufrieden zurück und sah vor seinem inneren Auge bereits die Jugendgruppe, der er eines Tages bei einem Ausflug zu später Stunde sein wundervolles Arschgeweih zeigen würde. Mit offenen Mündern würden die Burschen und Mädels staunend dasitzen und ihn als einen der ihren anerkennen. Er aber würde ihnen die Dreifaltigkeit aus Chianti, Internet und Arschgeweih erläutern, die nichts anderes sei als ein moderner Gottesbeweis. O yeah, Im back, summte versonnen Walter Mixa, bis er einnickte.
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