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die wahrheitIn der Schrippenhölle

Kolumne
von Jenni Zylka

In den Taschen lange nicht getragener Mäntel finden sich zuweilen erstaunliche Dinge. Eine-D-Mark-Münze zum Beispiel, die man im ersten Augenblick glatt für Reichsmark hält...

I n den Taschen lange nicht getragener Mäntel finden sich zuweilen erstaunliche Dinge. Eine-D-Mark-Münze zum Beispiel, die man im ersten Augenblick glatt für Reichsmark hält. Kinotickets von längst geschlossenen Arthouse-Häusern. Alte Getränkebons, für die man im Dschungel bestimmt noch eine Grüne Minna bekommt. Und Einkaufszettel, auf denen in merkwürdig vertrauter, womöglich eigener Handschrift Sachen wie "Schrippen hell" und "Maggi" stehen.

"Schrippen hell"? Ist das so etwas wie "Steigleitung trocken?" Hatte man sich in der Vergangenheit etwa schon einmal das Sesamstraßenwort "Schrippen" angewöhnt, sogar noch verschönert durch den B.Z.-Zusatz "hell", und weiß es jetzt nur einfach nicht mehr? Wo doch, seit dem Zuzug der echten Backkünstler, die das traditionelle Berliner Mehl-und-Spucke-Brötchen-Monopol ein wenig, ähem, aufweichten, in janz Berlin nirgendwo mehr Schrippen, sondern überall Seelen, Bagel, Simit und vor allem "Pariser Croissants aus Frankreich" zu haben sind? (Die sich vermutlich vor allem im Aussehen von den "Pariser Croissants aus Paris, Texas" unterscheiden.)

Aber wer weiß, vielleicht hatte man damals, in dem heißen Herbst, als jener Mantel mit den abgründigen Taschen getragen wurde, ja den genialen Einfall gehabt, den nächsten Text in einer "Schrippenhölle" spielen zu lassen … Kreative Menschen müssen sich schließlich andauernd ihre tollen Ideen aufschreiben, zuweilen auch auf Englisch, und wenn das Moleskin schon mit Hemingway-Sätzen voll ist, wird eben auf ein Stück herausgerissene Zeitung gekritzelt: "Schrippen hell" und "Maggi". "Maggi"? Wer benutzt denn noch Maggi? Ob das zur Schrippenhöllen-Idee gehört? Oder hatte man weiland vor, die britische Premierministerin in jene Hölle zu schicken? Worauf wird denn Maggi überhaupt getröpfelt? Auf Nasi Goreng aus der Dose? Eigentlich doch auf Sushi, oder?

Irgendwann dämmert es, dass die Achtziger ja die Zeit waren, in der eine freundliche, sehr, sehr dicke Oma jeden Dienstag auf den Besuch ihrer studentischen Hilfskraft wartete, um diese dann mit ein paar Einkaufswünschen unten in den Alte-Leute-"Kaisers" zu schicken, in dem immer das "Hausfreund"-Brot ausverkauft, weil dessen Rinde besonders weich und somit auch für die Dritten mümmelbar war. Und jene dicke, dicke Oma, der der viel zu strenge Arzt das Kaffeetrinken verboten hatte und die sich stattdessen an bis zu zehn Dosen Cola am Tag schadlos hielt, die benutzte garantiert Maggi für ihr tägliches, lauwarmes "Essen auf Rädern" und verspeiste außerdem, neben dem Hausfreund-Brot, am liebsten helle Schrippen.

Vielleicht hatte sie einem ja sogar irgendwann mal die Eine-D-Mark-Münze als kleines Trinkgeld unbemerkt in den alten Mantel fallen lassen. Und damit war man dann gleich in den Dschungel gegangen, um das klein Häuschen der Oma zu versaufen, und hatte einfach kein Ende gefunden. Das war nämlich die Zeit, in der man auch schon mal drei Tage wach war. Heute ist man dafür seit sieben Tagen auf Antibiotika.

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