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die wahrheitVom Nutzen der Kinderarbeit

Kolumne
von Eugen Egner

Ich wuchs bei einer Familie auf, von der sich später herausstellte, dass sie aus meinen Eltern und Großeltern bestand.Sie betrieben am Stadtrand eine kleine Bahnlinie...

I ch wuchs bei einer Familie auf, von der sich später herausstellte, dass sie aus meinen Eltern und Großeltern bestand. Sie betrieben am Stadtrand eine kleine Bahnlinie, ein staatlich subventioniertes Prestigeobjekt. Auf dem Schienenoval von etwa zwei Kilometer Gleislänge fuhren keine Personen- oder Güterzüge, vielmehr drehte eine ferngesteuerte Diesellokomotive dort ihre Runden, damit sich Lebensüberdrüssige von ihr die Köpfe abfahren lassen konnten.

Zum Wohle der Lokomotivführer auf den regulären Strecken war diese Spezialbahn gebaut worden, deren ganzer Transportcharakter ausschließlich in der Beförderung vom Leben zum Tode bestand. Die Sache wurde sehr gut angenommen, mit der Zeit entwickelte sich ein reger Suizidtourismus.

Instandhaltung sowie Reinigung von Fahrzeug und Bahnkörper oblagen der Familie. Auch ich hatte meinen Aufgabenbereich. Vom Schulbesuch befreit, assistierte ich meinem Großvater bei seinen Kontrollgängen entlang der Schienen. Eines Morgens fanden wir bei unserem Gang wieder einmal eine enthauptete, dem Anschein nach männliche Leiche vor.

"Geh den Kopf suchen", wies mich der Großvater an. Als deutlich Älterer mochte er nicht so viel laufen und sich zudem noch bücken müssen. Stattdessen paffte er eine Zigarre und wartete seelenruhig auf meine Rückkehr. Aus Gründen der Sparsamkeit stellte man mir kein Tragegefäß zur Verfügung, da es regelmäßig hätte gereinigt werden und früher oder später vielleicht durch ein neues ersetzt werden müssen.

Auch an jenem Morgen musste ich daher den etwa hundert Meter weiter gefundenen, nicht sehr appetitlich aussehenden Kopf an den Haaren zu meinem Großvater tragen. Mir kam dabei die zur Grausamkeit neigende Natur des kindlichen Gemüts zugute, so dass meine junge Seele keinen Schaden nahm.

"Personalien", lautete die nächste Anweisung. Meine flinken Hände durchsuchten die Taschen des stark reinigungsbedürftigen Jacketts und fanden nicht nur Ausweis und Führerschein des Verstorbenen, sondern auch einen handgeschriebenen Abschiedsbrief. "Vorlesen", verlangte mein Großvater. Mit glockenreiner Stimme trug ich vor, was der Unglückliche vor seiner Verzweiflungstat zu Papier gebracht hatte.

Etwas holprig und sowohl von Orthografie als auch Interpunktion her nicht immer einwandfrei wurde die Geschichte einer fatalen Liebschaft umrissen. Der Mann hatte offenkundig keinen Lektor gehabt, der mit ihm den Text hätte durchgehen und verbessern können. Es war von einer namentlich genannten Frau die Rede, die mittels angeblich unvorstellbar teuflischer, jedoch nicht näher beschriebener Machenschaften ihr Opfer seelisch wie materiell ruiniert habe, so dass diesem nur ein Ausweg bleibe.

Mein Großvater hörte schweigend zu. Mich machten diese Anklagen höchlichst neugierig auf die Frau, deren Namen ich mir einprägte. Ich wollte unbedingt Genaueres über ihre Teufeleien erfahren und beschloss einen Selbstversuch durchzuführen, sobald ich die nötigen Voraussetzungen dazu erfüllte.

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