die wahrheit: Der Hölle Rache
"Sprengstoff! Ich brauche Sprengstoff!" Raimund stürzte mit irrem Blick ins Café Gum herein: "Dynamit, eine Bombe, irgendwas!" Pete, der Gum-Wirt, blickte besorgt herüber...
Sprengstoff! Ich brauche Sprengstoff!" Raimund stürzte mit irrem Blick ins Café Gum herein: "Dynamit, eine Bombe, irgendwas!" Pete, der Gum-Wirt, blickte besorgt herüber. "Schrei nicht so", zischte ich Raimund zu: "Du weißt doch genau: Wenn heutzutage irgendwer irgendwo ,Sprengstoff!' brüllt, seilen sich prompt die Marines vor den Fenstern ab!" - "Die Marines!", hauchte Raimund: "Na, klar! Wenn ich dem Pentagon stecken würde, dass Frau Dunkhase die Führerin eines bislang unbekannten Schurkenstaates ist …"
Frau Dunkhase wohnte eine Etage über Raimund. Sie hieß bis vor kurzem noch Frollein Dunkhase und war vermutlich die letzte Frau, die tatsächlich auf dieser Anrede bestand. Sie war Buchhalterin bei den Stadtwerken und galt als gnadenlos: Niemand drehte säumigen Zahlern schneller den Saft ab und lachte hässlicher, wenn er den Gerichtsvollzieher in Marsch setzte. Sie trug stets Dutt, kicherte nie mit Männern auf dem Balkon, und jeder der wenigen Sätze, die sie sprach, zischte wie ein Wurfmesser durch die Luft. Selbst wenn sie "Guten Tag!" sagte, klang das nach einem Befehl.
Eines Frühlingstages aber krempelte sie ihr Leben um wie einen alten Hut: Sie kündigte ihren Job, heuerte ein paar billige Knochenbrecher an und gründete ein Inkassobüro, das bald zum erfolgreichsten der Stadt wurde. Sie färbte sich die Haare flammend rot, zog jede Nacht um die Häuser und war selten unbegleitet, wenn sie morgens die Treppe hinaufklackerte.
"Doch das", sagte Raimund, "ist mir piepegal." Nicht egal aber war ihm, dass sie nun auch von einer Karriere als Operndiva träumte. "Sie hat Gesangsunterricht genommen und übt jeden Tag stundenlang. Immer wieder ,Die Königin der Nacht'! Ich brauche Sprengstoff - oder deine Hilfe!" Selbstverständlich sagte ich kategorisch "No!", doch er ließ nicht locker: "Bitte, sprich mit ihr, du kannst so überzeugend sein - es reicht ja, wenn sie ihr Gekrähe auf bestimmte Stunden am Tag beschränkt."
Keine halbe Stunde später betraten wir das Haus, in dem er wohnte. Man hörte sie schon unten auf der Treppe: "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!", schallte es herunter: "Tod und Verzweiflung!" Da gab es eine Explosion, und der Gesang brach ab. "Raimund!", keuchte ich: "Was hast du getan?" Er schüttelte unschuldig den Kopf, doch ich zog ihn davon, um im Café Gum unterzutauchen.
In den nächsten Tagen erfuhren wir, dass es in der Gastherme der Diva eine Verpuffung gegeben hatte. Frau Dunkhase blieb unverletzt, hatte aber wohl vor Schreck für immer ihre Stimme verloren. Die Kripo begann zu ermitteln, weil man an einen Anschlag rachedurstiger Stadtwerkekunden oder unterbezahlter Knochenbrecher dachte. Aber es fanden sich keine Anhaltspunkte für eine Manipulation der Therme, weshalb auch Raimund aus dem Schneider war - doch endgültig glaubte ich erst an seine Unschuld, als ich kurz darauf einen seiner Nachbarn eine Kiste zum Müllcontainer tragen sah, die neben allerlei Krimskrams auch eine Puppe mit roten Haaren enthielt, in welcher viele kleine Nadeln steckten.
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