die todesstrahlen von KATHRIN PASSIG:
An Erklärungen, wie die Dinge funktionieren, herrscht kein Mangel. Jede Buchhandlung hält sie regalmeterweise vorrätig. Wie und warum die Dinge nicht funktionieren, ist dagegen ein vernachlässigtes, fast vollständig unerforschtes Thema. Das macht aber nichts, damit kenne ich mich aus.
Es verhält sich ganz offensichtlich so, dass Mechanik, Elektrik und Elektronik die Gegenwart des Menschen scheuen. Die Anwesenheit von Menschen übt eine korrodierende Wirkung auf alles Funktionierende aus und verwandelt es über kurz oder lang in das Nichtfunktionierende. Insbesondere die Anwesenheit bestimmter Menschen. Insbesondere meine Anwesenheit. Wie sonst ist zu erklären, dass ich nicht nur ohne CD-Player, Videorekorder und funktionierenden Wecker leben muss, sondern neuerdings auch ohne Handy und mit nur noch einer Festplatte? Ach, was sag ich, man kann es kaum Leben nennen. Täglich erwarte ich, dass mein Fahrrad unter mir zu Staub zerbröselt. Und all das liegt nicht etwa daran, dass ich unsachgemäße Reparaturversuche mit Hammer und Rohrzange unternommen hätte – die untreuen Gegenstände kehren von einem Tag auf den anderen den Bauch nach oben.
Dass die Reparatur defekter Geräte mit Werkzeug, Geduld und Sachverstand zu tun habe, ist ein von Handwerksbetrieben in die Welt gesetztes Gerücht. So sehr den Gegenständen die meisten Menschen zuwider sind, so gern halten sie sich in der Gesellschaft der übrigen auf. Handauflegen oder die bloße Anwesenheit einer solchen Person genügen. Schon schnurrt das bereits aufgegebene Gerät gesellig und möchte gern beim Techniker wohnen bleiben, anstatt sich wieder meinem zerrüttenden Pesthauch aussetzen zu müssen.
Wer mich im Auto mitnimmt, sieht sich häufig gezwungen, die Autobahn zu verlassen und mit wechselnden Symptomen Werkstätten aufzusuchen, in denen gutgelaunte Angestellte lediglich den Zündschlüssel umdrehen müssen, damit alles wieder funktioniert. Die Angestellten denken sich dann ihren Teil und der Fahrer schleicht gedemütigt vom Hof. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Wenn einem sowas als Mann passiert und man vom Fachpersonal als jemand identifiziert wird, der Gebrauchsanweisungen liest und vor dem Öffnen des Gehäuses den Netzstecker zieht, kurz, ein Waschlappen. Oder wenn einem das Gleiche als Frau passiert und man, nun ja, für eine Frau gehalten wird.
Die Todesstrahlen scheinen übrigens nicht mit größerer Nähe zum Körper zuzunehmen: mein Vibrator ist der lebende Gegenbeweis. Vielmehr schwanken sie zwischen harmloseren und aggressiveren Phasen: Der letzte Monat hat mich beinahe an den Bettelstock gebracht und die BVG vier Fahrscheinautomaten gekostet.
Aber man kann jedes Talent zu Geld machen. Ich habe mich für eine Karriere bei der GEZ entschieden. Und wenn Sie mich sagen hören: „Ach so, Sie haben weder Radio noch Fernseher“ und hinter Ihnen dieses Britzeln aus der Wohnung dringt, dann wissen Sie: Diesmal stimmt‘s.
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