die stimme der kritik: betr.: Große Fehler, schlimme Irrtümer
Kunststück Karriereplanung
Wer übermorgen Außenminister oder doch zumindest Fraktionschef einer großen Volkspartei werden möchte, sollte sich heute bereits, noch als junger Mensch, eine möglichst kontrovers betrachtbare Vergangenheit zulegen. Das erhöht zunächst die Glaubhaftigkeit beim Wahlvolk auf dem Weg zur Macht, und später, im Amt, kann man sich schön im Gespräch halten mit Spekulationen über Wahrheit und Legende, über langhaarigen Bierdurst und Militanz in Lederjacke.
Ganz einfach Haare lang wachsen lassen, schnell „im Wettlauf mit der Polizei“ und immer „ohne Nummernschild“ durchs Heimatörtchen brausen? Am Wochenende im Wald üben, wie man einen Polizisten „enthelmt“, und das Erlernte am nächsten Wochenende bei der Demo umsetzen? Diese althergebrachten Formen politischer oder auch nur pubertär-rebellischer Selbststilisierung sind abgegriffen von den Herren Merz und Fischer. Und die Polizei ist auf Derartiges wesentlich besser vorbereitet als früher. Da muss man sich als junger, aufstiegsorientierter Mensch heutzutage schon etwas Neues einfallen lassen. Es gilt, das zu antizipieren, was in dreißig Jahren viele ganz schlimm finden werden. Nur: Was wird einem die bürgerliche Öffentlichkeit in Gestalt der Bild-Zeitung und ihres dann wohl völlig vergreisten Kommentators Peter Boenisch verzeihen können und müssen?
Hmm. Die Mitgliedschaft in einer rechtsradikalen Partei? Den Besitz eines zum Töten abgerichteten Kampfhundes? Wer weiß. Wäre aber trotzdem eine falsche Taktik für die spätere staatsmännische Karriere: Will man es wie Merz und Fischer machen, muss man das Kunststück schaffen, einerseits zwar etwas Verbotenes zu tun, was andererseits aber zumindest von einer großen Minderheit in der eigenen Generation toleriert wird.
Was die potenziellen Außenminister und Fraktionschefs von übermorgen heute beschäftigt, das sind nicht Kosovokrieg oder rechtsradikale Übergriffe, sondern der Sieg von Alida bei „Big Brother“ und die unterschiedlichen Tarife bei „Call Ya“ oder „X-Tra Card“. Entsprechend wird auch der Skandal von übermorgen ausfallen: „Außenminister Kevin Maier-Gieben hat zugegeben, sich 1999 beim Telefonvoting bei ‚Big Brother‘ für Harry ausgesprochen zu haben“, werden die Agenturen melden. Aber Maier-Gieben wird sich natürlich auch ebenso prompt und professionell entschuldigen wie sein Vorvorvorgänger: „Es war ein großer Fehler und ein schlimmer Irrtum.“ STEFAN KUZMANY
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen