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die stimme der kritikDer „Fall“ Tom Kummer, das „SZ-Magazin“ und authentische Interviews in „Focus“

KREATIV BLEIBEN, GESUND SCHREIBEN

Tom Kummer ist ein schlimmer Finger. Zu diesem Schluss ist das Enthüllermagazin Focus diese Woche gekommen, als es herausfand, dass der Schweizer Journalist seine im SZ-Magazin abgedruckten Interviews mit Kim Basinger, Sharon Stone, Brad Pitt, Courtney Love und anderen Hollywoodgrößen höchst wahrscheinlich frei erfunden habe.

Das ist natürlich befremdlich, scheinen da wider besseres Wissen SZ-Magazin-Chefredakteur Poschardt und seine Kollegen ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen zu sein: Schon länger ist bekannt, dass Kummer sich schöne Fragen und schöne Antworten gern mal ausgedacht hat, und das SZ-Magazin hat ihm im April 99 folglich auch den Laufpass gegeben. Doch die Interviews haben einfach zu gut ins SZ-Magazin gepasst: „Originalität und Kreativität“ schreibt Poschardt sich schließlich auf seine Seiten, und Kummer hat ihn beim Wort genommen.

„Sex ist gut, wenn du nicht mehr denken kannst“, hat Danny De Vito zu ihm im August 1998 gesagt. Oder: „Ich werde in der Öffentlichkeit als lebende Comicfigur wahrgenommen, und damit bin ich nicht nur dicht an der Popkultur – ich bin Pop.“ Das liest man gern, und es liest sich nicht schlechter, wenn Kummer dem De Vito das einfach in den Mund gelegt hat. Bloß muss man den Fake auch kenntlich machen.

Und so, klar, vertrauen wir dann doch lieber so seriösen Organen wie Focus. Das Magazin hat beispielsweise diese Woche unter der Rubrik „Boulevard“ ein richtig authentisches Interview mit der schottischen Popband Belle And Sebastian geführt. Drei Fragen, drei Antworten, ein Auszug: „Verweigern Sie sich dem Erfolg?“, fragt Focus, und Belle And Sebastian antworten: „Wir sind nicht wild darauf, Superstars zu werden. Aber wenn’s den Leuten gefällt, bitte, dann sollen sie unsere CD eben kaufen.“

Das rockt, das sind Fakten, das ist die hohe Interviewschule. Nur ein Schelm könnte darauf kommen, dass hier auch die Plattenfirma und ihre PR-Abteilung sehr gute Arbeit geleistet haben. Nicht auszudenken aber, was ein kreativer Interviewer wie Tom Kummer aus einem Interview mit Belle And Sebastian gemacht hätte! GERRIT BARTELS

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