piwik no script img

die stimme der kritikBetr.: Mimikry-Effekt

Fliegende Gedanken werden ohne Playback geblasen

Diese Pressemitteilung fand ich auf meinem Schreibtisch: „Live-Auftritte bei den Volksmusikfesten sind live: Die Redaktion der MDR-Volksmusikfeste verwehrt sich gegen den indirekten Vorwurf der Sat.1 Sendung ‚Akte 2000‘, dass Moderatorin Carmen Nebel Live-Auftritte ankündigt, die keine sind.“ MDR-Unterhaltungschef Udo Frohnt: „Wenn unsere Moderatoren – und in diesem Fall Frau Nebel – einen Live-Auftritt ankündigen, dann singt oder spielt der Künstler auch live.“ Frau Nebel hatte nämlich am vergangenen Samstag Trompeter Stefan Mross als Live-Auf- tritt angekündigt. Er blies den Titel „Flieg Gedanke“. Im Hintergrund lief lediglich ein Halbplaybackband mit Orchester und Backgroundchor – OHNE „eine Melodie spielen- de Trompete“.

Dazu möchte ich feststellen: Ich verwehre mich gegen den indirekten Vorwurf verschiedener Bekannter, ich würde Pressemitteilungen zitieren, die keine sind. Wenn jemand in meinen Zitaten „Flieg Gedanke“ bläst, oder Carmen Nebel heißt, oder ein Halbplaybackband laufen lässt, dann ist das auch so.

Ich selber habe sogar mit jener Carmen Nebel einmal zusammen ein Halbplaybackband beblasen, im Hintergrund lief lediglich Stefan Mross, OHNE einen fliegenden Gedanken am Leib.

Des weiteren möchte ich mich gegen den indirekten Vorwurf verwehren, dass mein Schreibtisch auf Grund seiner Beschaffenheit und meiner Unfähigkeit, Papier wegzuschmeißen, jene Pressemitteilungen geradezu magisch anzieht, und stelle fest: Die vielen ungeordneten Papierhaufen auf dem und um meinen Schreibtisch herum haben die Beschaffenheit von Chamäleons. Wenn sie lange genug unangetastet liegen können, nehmen sie die Farbe der Umgebung an und sind im übrigen von den benachbarten Dingen (Tischplatte, Schreibutensilien etc.) nicht mehr zu unterscheiden. Der so genannte „Mimikry-Effekt“, der in der Tier-, Politik- und Papierwelt als überlebenswichtige Technik von großen und kleinen Lebewesen praktiziert wird, verstärkt sich zusätzlich dadurch, dass die typische Papierform, also weiß, labberig und höchstens A-4-Format, die Differenzierung zwischen MDR-Pressemitteilungen, Halbplaybackbändern, blasenden Trompetern, fiktionalen Notizen, 2.000 Akten und Carmen-Nebel-Fotos nicht gerade erleichtert.

Ich bitte, das in Ihrem Urteil zu berücksichtigen und von weiteren indirekten Vorwürfen Abstand zu nehmen.     JENNI ZYLKA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen