die stimme der kritik: Betr.: Wahl-Zapping ohne Fernbedienung
Wer blinzelt, hat schon verloren
„Danke für die Begleitung durch den Wahlabend.“ ZDF-Frontwahlmann Thomas Bellut scheint eine Ahnung zu haben. Nämlich davon, dass der Zuschauer, der die Berichterstattung des Zweiten mit beiden Augen verfolgt hat, völlig erschöpft in den Kissen hängt. In Zeiten, in denen selbst MTV wieder die längere Einstellung pflegt, übt sich der Mainzer Sender in schnellen Schnitten. Und in diesem Schaltwirrwarr waren Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg kaum noch voneinander zu unterscheiden.
Auf dem Bildschirm sah die Landverschmelzung so aus: Erste Hochrechnungen aus Stuttgart, vorgetragen von einem atemlosen Steffen Seibert. Dann Rheinland-Pfalz, wo Rainer Brüderle gerade schlechte Wahlbeteiligung und schlechtes Wetter in eine Kausalbeziehung setzen will. Plötzlich aber der Ruf aus dem Süden: Erwin Teufel ist im Studio, hält seine Pelzmützenfrisur in die Kamera und schafft es, seinen TV-Auftritt ohne Blinzeln zu beenden. Dazwischen wieder Steffen Seibert, der Grafik-Quader aus dem Boden schießen lässt und bunte Mandats-Törtchen bäckt.
Spätestens da hat der Zuschauer ein Flimmern vor den Augen und wundert sich, wieso die Moderatoren das In-die- falsche-Kamera-Gucken einstudiert haben. Und warum Kurt Beck plötzlich in Stuttgart rumfeixt. Doch halt, das ist ja Mainz, aber im Wettstreit mit Ute Vogt um das telegenste Grinsen sind die Landesgrenzen eben fließend. Hier siegt die SPD-Frau knapp – sind ihr doch die Mundwinkel vor Freude über den achtprozentigen Zugewinn knapp unter den Ohrläppchen festgewachsen. Bevor der Zuschauer allerdings ihre physiognomischen Höchstleistungen ausgiebig bewundern kann, ist die Uhr ihrer Bildschirm-Präsenz schon wieder abgelaufen. Erhard Eppler ist nämlich aufgetaucht, wird vors Mikrofon gezerrt und zu einer Aussage genötigt. Und geschmackvoll insertiert: Hat sich das ZDF doch tatsächlich die aktuelle Stolz-Debatte zu Herzen genommen und lässt ein Deutschland-Fähnchen dynamisch neben den eingeblendeten Namen rauschen. Auch noch von links nach rechts.
Doch weiter geht’s, das Zappen ohne Fernbedienung. Die personifizierte Erlösung ist Steffen Seibert – er beschließt diese Tele-Qual der Wahl mit dem vorläufigen Endergebnis – am Schluss seines Vortrags schnauft er schwer und streckt die Zunge raus. Ein schöner Dank für den Zuschauer, der an diesem Abend auch nicht mehr in ganzen Sätzen sprechen konnte. JUTTA HEESS
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